Zitate zu "Grenze(n)"
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Film - Filmtitel - Highlights - Klassiker
Heiße Grenze (Western, USA, 1959)
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Dr. Franz Fischler
Wir rühmen uns, daß wir die besten Semmeln der Welt haben, aber wir sind nicht imstande, auch nur eine Semmel über die Grenze hinaus zu liefern.
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Theodor Fontane
Ich gehöre keineswegs zu denen, die der Kritik den Mund stopfen wollen, aber die Kritik muß klug und bescheiden geübt werden und muß sich bei jedem Wort ihrer Grenzen bewußt bleiben.
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Theodor Fontane
Wir glauben, eine Art Schulmonopol zu besitzen, und es gibt Leute unter uns, die womöglich den Beweis führen möchten, daß jenseits der deutschen Grenze alles Lesen und Schreiben aufhöre, wie etwa 20000 Fuß hoch das Atmen.
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Franziska Friedl
Der Unterschied zwischen Geist und Dummheit ist, daß Geist Grenzen hat.
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Caspar David Friedrich
Wer will wissen, was einzig schön ist, und wer kann es lehren? Und wer, was geistiger Natur ist, Grenzen setzen und Regeln dafür geben? O ihr trockenen, ledernen Alltagsmenschen, ersinnt immerhin Regeln! Die Menge wird euch loben für die dargebotenen Krücken, wer aber eigene Kraft fühlt, verlacht euch.
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Erich Fromm
Der Mensch ist abhängig; er bleibt dem Tode, dem Alter, der Krankheit unterworfen. Aber es ist eine Sache, die eigene Abhängigkeit und seine Grenzen anzuerkennen, und es ist etwas völlig anderes, sich dieser Abhängigkeit hinzugeben und jene Mächte anzubeten, von denen man abhängt. Das eine bedeutet Demut, das andere Selbstdemütigung.
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Galileo Galilei
Wer will der Verstandeskraft und der Erfindungsgabe des Menschen Grenzen vorschreiben?
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John Galsworthy
Wer seine Grenzen kennt, ist schon ein halber Weiser.
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Mohandas "Mahatma" Karamchand Gandhi
Ich bin mir meiner Unvollkommenheit schmerzlich bewußt, und in dieser Erkenntnis liegt die ganze Kraft, die mir zu Gebote steht, denn es ist selten, daß ein Mensch seine Grenzen kennt.
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Mohandas "Mahatma" Karamchand Gandhi
Keine Staatsgrenzen können uns hindern, unseren Dienst auf unsere Nachbarn auszudehnen; diese Grenzen hat nicht Gott gezogen.
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William Henry "Bill" Gates
Staaten können versuchen, den Wandel innerhalb ihrer Grenzen zu bremsen, indem sie die Nutzung bestimmter Technologien einschränken, doch laufen sie mit dieser Politik Gefahr, sich von der Weltwirtschaft abzukoppeln.
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Joachim Gauck
Angesichts dieses in jeder Hinsicht herausragenden Gästekreises möchte ich Sie alle - gewissermaßen praemissis praemittendis - als Freunde und Wegbegleiter des Jubilars ganz herzlich willkommen heißen. // Wenn der Bundespräsident eine Tischrede zu Ehren von Helmut Schmidt hält, dann sieht er sich vor eine doppelte Herausforderung gestellt. Zum einen ist schon so viel über den Staatsmann und politischen Publizisten, den Menschen Helmut Schmidt gesagt worden, dass der Jubilar, der Redner und die Zuhörer die Wiederholung fürchten müssen. Zudem ist es einfach ein Ding der Unmöglichkeit, alle Verdienste Helmut Schmidts in einer menschenfreundlichen und dazu noch protokollarisch vorgegebenen Zeit zu würdigen und dabei dann auch noch seiner Persönlichkeit nur annähernd gerecht zu werden. // Ich möchte Ihnen deshalb an diesem heutigen Abend nur das mitteilen und sagen, was mich persönlich an Helmut Schmidt beeindruckt hat, in all den Jahren, in denen ich sein Wirken aus der Ferne und Nähe nun verfolge. Und es wird Sie nicht wundern, dass ich mit dem Weg zur deutschen Einheit beginne. // Das erste Mal bin ich Ihnen, lieber Herr Schmidt, in Rostock begegnet, meiner Heimatstadt, das war auf dem Kirchentag im Juni 1988, wie auch Ihnen, liebe Frau Hamm-Brücher, Sie waren auch dort. Damals, als Deutschland und Europa noch geteilt waren, die Zeit der Perestroika aber bereits angebrochen war, damals hielten Sie eine Rede in der Rostocker Marienkirche, allem Widerstreben der SED zum Trotz. Denn erst nach hartnäckigen und zähen Verhandlungen und Zurückweisung der Forderung der SED, wir, Kirche und Kirchentag, sollten Sie wieder ausladen, was wir nicht taten, sind Sie dann doch nach Rostock gekommen. Weit mehr als 2.500 Menschen waren damals in die Marienkirche gekommen, um Ihnen zuzuhören, und man empfing Sie so, wie man eben ein Idol empfängt. Ein Offizier der Stasi fasste das, was sich bei Ihrer Begrüßung abspielte, laut Stasi-Akten in fünf Wörtern zusammen: "Jubelrufe, lang anhaltender stürmischer Beifall." // Ihre Rede damals gab der Christen- und Bürgergemeinde Kraft. Es war vor allem ein Satz, der vielen, die dabei waren, in Erinnerung geblieben ist. Sie sagten damals: "Jeder von uns weiß, dass wir eine Aufhebung der Teilung nicht erzwingen können. ( ) Und trotzdem darf jeder von uns an seiner Hoffnung auf ein gemeinsames Dach über der deutschen Nation festhalten." Was wir damals noch nicht wussten: Genau in dieser Kirche versammelten sich dann ein Jahr später, 1989, die Rostocker, um jeden Donnerstag mit dem Wort Gottes und den neuen politischen Programmen gegen die kommunistische Diktatur zu protestieren. Und während sie das taten, verwandelten sie sich von Untertanen in Bürger. // Damals hat sich eine Hoffnung erfüllt, zu der wir 1988 noch gar kein rechtes Zutrauen hatten. Seitdem hat sich unendlich viel verändert. Eines aber, lieber Helmut Schmidt, ist unverändert geblieben: Auch heute hören Ihnen die Menschen zu, auch heute bringen sie Ihnen großen Respekt entgegen. Einer Umfrage zufolge sind Sie sogar "das größte lebende Vorbild der Deutschen". // Schon viele haben versucht, das Phänomen Helmut Schmidt zu ergründen. Ich will mich da lieber nicht einreihen. Was ich aber tun möchte, ist, Ihnen zu sagen, warum ich mich freue, Sie heute hier in Schloss Bellevue zu Gast zu haben. Ich freue mich, weil ich Ihre Erfahrung schätze, Ihre politische Urteilskraft und Ihre geistige Unabhängigkeit. Und weil viele Stationen Ihres Lebens auch für mich bedeutsam waren, als Bewohner der DDR und später als Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind eine Persönlichkeit der Zeitgeschichte, die fast ein ganzes Jahrhundert erlebt und reflektiert hat."Unser Jahrhundert" - so nannten Sie Ihre Rückschau, die Sie zusammen mit Fritz Stern 2010 veröffentlicht haben. Uns begegnet ein Mann mit republikanischen Werten - zuvörderst aber mit einem deutlichen Ja zu politischer Verantwortung und ausgestattet mit einer im politischen Raum nicht eben häufigen Tugend, dem Mut. // Besonders beeindruckend finde ich, wie offen Sie im Rückblick auch über schwierige Gewissensentscheidungen gesprochen haben. Noch im Zweiten Weltkrieg, in dem Sie als Offizier der Wehrmacht kämpften, standen Sie vor der quälenden Frage: Wann endet die Pflicht zum Gehorsam gegenüber dem Staat, wann beginnt die individuelle Verantwortung und wo die Schuld? // Die Erfahrungen von nationalistischer Hybris, von Krieg und Massenmord haben Sie, wie viele Zeitgenossen, zu einem überzeugten Europäer gemacht. Bei Ihrem Geburtstagsfest im Hamburger Thalia Theater sagten Sie Anfang des Jahres: "Ich wünsche mir, dass die Deutschen begreifen, dass die Europäische Union vervollständigt werden muss - und nicht, dass wir uns über sie erheben." Dass Sie dies sagten, gerade Sie, das hat Gewicht. Ich bin mir sicher: Ihre Denkanstöße leisten einen wichtigen Beitrag, im Vorfeld der Europawahlen im Mai und hoffentlich weit darüber hinaus. // Lassen Sie mich noch einmal zurückschauen in eine schwierige Phase Ihres Lebens. // Als Bundeskanzler sahen Sie sich, vor allem im "Deutschen Herbst" des Jahres 1977, mit dem Terrorismus der Roten Armee Fraktion konfrontiert und vor die Frage gestellt: Darf sich ein demokratischer Staat erpressen lassen, darf er Gefangene gegen Geiseln austauschen? Was soll man tun, wenn die Staatsräson in Konflikt gerät mit dem Leben von Einzelnen? Sie haben damals mit Ihrem Gewissen gerungen, und ich bewundere Sie für einen Satz, der so einfach klingt und einem doch so schwer über die Lippen kommt: Er lautet: "Ich bin verstrickt in Schuld." // Dies sehr klar zu erkennen und zu benennen und gleichwohl die beständige Pflicht zum Handeln zu akzeptieren, zeichnet einen großen Politiker aus. // Lieber Herr Schmidt, Sie haben immer wieder Mut und Pflichtbewusstsein, Führungskraft und Standfestigkeit bewiesen, auch in Situationen, die Sie persönlich und politisch an Ihre Grenzen brachten. Der NATO-Doppelbeschluss zum Beispiel war im ganzen Land, auch in Ihrer Partei, der SPD, heftig umstritten - aber die Geschichte hat Ihnen Recht gegeben. Sie haben erlebt, wie es ist, wenn man in der Politik nicht wegen eines Versagens, sondern wegen einer politischen Entscheidung plötzlich den Rückhalt verliert, wenn es einsam wird auf dem Gipfel der Macht. Sie haben auch erlebt, was es ausmacht, die Gestaltungsmacht zu verlieren und die Regierungsverantwortung dann dem politischen Gegner zu überlassen. Sie kennen den bitteren Geschmack der politischen Niederlage. Sie wissen besser als ich, dass solche Lebensphasen auch eine Einladung enthalten. Eine dunkle Einladung zu Fatalismus, Pessimismus oder gar zu Zynismus. // Sollte Ihre Psyche jemals solche Einladungen erhalten haben, so haben Sie es vermocht, sie auszuschlagen. // Später, außer Dienst, als politischer Publizist und Herausgeber der ZEIT, haben Sie sich immer wieder in die öffentlichen Debatten eingemischt, und das tun Sie bis heute. Ihre Überlegungen zum Verhältnis von Politik und Moral, orientiert an Ihren vier"Hausapothekern" Marc Aurel, Immanuel Kant, Max Weber und Karl Popper, haben das politische Denken dieses Landes beeinflusst. Sie sind ein Verteidiger unseres parlamentarischen Systems, der nicht müde wird, den friedlichen Meinungsstreit und den Kompromiss als demokratische Tugenden zu würdigen und für pragmatische, verantwortungsvolle Politik zu werben. // Wer Ihr publizistisches und politisches Lebenswerk in der Gesamtschau betrachtet, der ist überwältigt von der thematischen Vielfalt. Einer Ihrer"Hausapotheker", Marc Aurel, dessen "Selbstbetrachtungen" Sie als Soldat stets im Tornister trugen, hat einmal geschrieben: "Tue nichts widerwillig, nichts ohne Rücksicht aufs allgemeine Beste, nichts übereilt, nichts im Getriebe der Leidenschaft." Das klingt in meinen Ohren - verzeihen Sie - stark nach Helmut Schmidt - nach einem Mann, der sich ganz der Sache hingibt, sorgfältig arbeitet, auch viel Zeit am Schreibtisch verbringt. Ein Arbeitsethos übrigens, das auch geeignet ist, einem gefährlichen Vorurteil zu begegnen: dem Vorurteil nämlich, Politik sei ein dubioses Geschäft, das vor allen Dingen von Leichtgewichten betrieben werde. // Fleiß, Pflicht und Vernunft, Weber und Kant, das alles klingt erst mal kühl, rational, streng. Ich glaube, zu Ihrer Beliebtheit heute hat ebenso eine andere Seite Ihrer Persönlichkeit beigetragen, die es seit langem gibt. Ich meine den Mut, die eigene Meinung deutlich und ohne andauernde Rückversicherung zu sagen. Manchmal durchaus eigensinnig, dann wieder hinreißend sozialdemokratisch. Ein Weltbürger mit universellen Interessen - und zugleich immer in Hamburg-Langenhorn -, bodenständig und beständig brahmseeverbunden. Ich schweige von Sturheit, möglicherweise norddeutsch, denn ich möchte nicht vom Rauchen sprechen. // Lieber Herr Schmidt, nun zum Schluss muss dann aber der Satz kommen, auf den ich mich schon lange gefreut habe und den ich als Präsident der Bundesrepublik Deutschland mit großer Dankbarkeit ausspreche: Sie haben sich verdient gemacht um unser Land. Ihr tätiges Leben für unsere Republik, Ihre Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen - all das macht Sie zu einem Vorbild für aktuelle und künftige Politikergenerationen. Die Demokratie braucht Menschen wie Sie. // Bitte erheben Sie Ihr Glas auf Helmut Schmidt und Frau Ruth Loah. Auf Ihre Gesundheit und Ihr Wohl!
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Joachim Gauck
Das sind wichtige Tage, die wir miteinander in unserem Land erleben. Wir zeigen uns hilfsbereit und wir zeigen uns zur Hilfe fähig! Ich bin glücklich und dankbar, dies zu erleben. // Dankbar bin ich all den Menschen, die als Freiwillige in den Notunterkünften da sind, um Menschen zu begleiten bei Behördengängen, bei der Nahrungsverteilung, bei der Kinderbetreuung. // Ich bin denen dankbar, die spenden. Wir brauchen diese Spenden. // Und ich bin denen dankbar, die sogar bereit sind, Flüchtlinge bei sich zu Hause aufzunehmen und für sie zu sorgen. Und natürlich bin ich all den Menschen dankbar, die in den Behörden oder in den sozialen Diensten arbeiten. Die sind an den Grenzen ihrer Möglichkeiten und arbeiten trotzdem für dieses wichtige Werk. // Klar bin ich auch denen dankbar, die selber vor ein paar Jahren erst zugewandert sind und heute helfen bei Übersetzungen, bei Behördengängen und so Brücken bauen. // Ja, wir alle wissen, wir stehen vor großen Herausforderungen. Es werden auch Probleme auf uns zukommen, klar. Wir helfen jetzt spontan und das ist gut so. Wir können das, weil wir ein starkes Land sind und weil wir solidarisch sind. // Wir werden aber nicht nur heute helfen, sondern es wird auch morgen nötig sein, dass wir Geduld und Kraft aufbringen. Und dass Menschen da sind, die auch morgen den Ankommenden helfen, unsere Gesetze, unsere Kultur, unsere Ordnung zu begreifen. Und wenn wir das alles erleben werden, werden wir dieser großen Herausforderung gerecht werden. // Ich bin dankbar, dass es heute so ausschaut, als könnten wir das packen. Und Ihnen bin ich dankbar, all jenen, die helfen und spenden und die sich einsetzen. Das macht unser Land schön. Wir stehen zu unserem Land und wir fürchten uns nicht vor den Herausforderungen.
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Joachim Gauck
Gestern war ich in Bergen-Belsen. Ich musste daran denken, als ich die Bilder von Mauthausen sah. Heute darf ich mit Ihnen die österreichische Freiheit und Befreiung feiern. Ich bin tief bewegt und dankbar, dass ich heute zu Ihnen sprechen darf. Nicht an irgendeinem Tag und zu irgendeinem Anlass, sondern gerade an jenem Tag, an dem Österreich vor genau 70 Jahren die Grundlagen für seine demokratische Nachkriegsordnung legte. // Noch tobten damals Kämpfe hier, aber auch um Breslau und Berlin. Noch befanden sich große Teile Österreichs in der Hand der Wehrmacht. Noch herrschte vielerorts der Terror der Nationalsozialisten: Zivilisten wurden erhängt oder erschossen, weil sie weiße Fahnen gehisst hatten. Soldaten wurden zum Tode verurteilt, weil sie sich von ihren Truppenteilen entfernt hatten. Doch die Hauptstadt Wien befand sich bereits in den Händen der Roten Armee. Und noch bevor die Wehrmacht kapitulierte, erklärte eine neue österreichische Regierung den gewaltsamen Anschluss an Deutschland 1938 für null und nichtig und proklamierte die Wiederherstellung der demokratischen Republik Österreich. Voller Erleichterung tanzten die Wiener zwischen den Trümmern ihrer Stadt zum Donauwalzer. // Die Bürger der Republik Österreich und die Bürger der Bundesrepublik Deutschland wissen sehr genau, warum wir das Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft als Befreiung würdigen. Schrecklich allein die Vorstellung, die Alliierten hätten uns nicht befreit und unsere Vorgängergeneration hätte uns ein Europa unter dem Hakenkreuz hinterlassen. // Heute, nach Jahrzehnten demokratischer und ökonomischer Konsolidierung, leben Österreicher und Deutsche in einem spannungsfreien und freundschaftlichen Verhältnis - von Fußballländerspielen einmal abgesehen. Wir sind einander willkommen - als Köche und Kellner, als Fachärzte, als Wissenschaftler und Theaterleute. Geschäftsleute und Touristen überqueren millionenfach die Grenze in beide Richtungen. Viele unserer Unternehmen sind miteinander verflochten, und unsere Länder sind füreinander ein wichtiger Markt. // Zu Recht ist es oftmals betont worden: Österreicher und Deutsche sind sich besonders vertraut - allein schon wegen der Sprache. Das Publikum fragt kaum mehr, ob ein Schriftsteller, Komponist oder Schauspieler und Sänger in Deutschland oder Österreich geboren wurde und welche Staatsbürgerschaft er besitzt. // Unsere Völker verbindet zudem eine jahrhundertelange gemeinsame Geschichte: dazu gehört das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, aber natürlich auch blutiger Krieg, um Schlesien etwa, in der Vergangenheit, ebenso wie der 1815 gemeinsam ins Leben gerufene Deutsche Bund. Und selbst in der Zeit der Nationalstaatsbildung fühlten wir uns einander so nahe, dass die Debatte über einen gemeinsamen Staat lange Jahre auf der politischen Agenda stand. // Wir wissen, wie die Geschichte ausging. 1871 entstand das Deutsche Reich - ohne Österreich. Die staatliche Vereinigung Deutschlands und Österreichs war auch nach dem Ersten Weltkrieg keine Option, die Siegermächte hatten es so verfügt. Und als der Zusammenschluss dann 1938 als Anschluss Realität wurde, verspielte er im selben Moment jede Zukunftschance. Auch wenn Zehntausende auf den Straßen jubelten, als Adolf Hitler Österreich 1938 anschloss ans Deutsche Reich, so gab es zugleich die vielen anderen Österreicher, die in der nationalsozialistischen Herrschaft von Anfang an nichts als ein menschenverachtendes System der Unterdrückung sahen. Das, Herr Bundespräsident, meine Damen und Herren, ist eine Traditionslinie, auf die sich das moderne freiheitliche Österreich stolz berufen kann. Für die Menschen, die in dieser Tradition standen, war die Einheit mit Deutschland unter dem Vorzeichen der Diktatur eben keineswegs erstrebenswert, sondern erschreckend und bestürzend gewesen. // Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehen Deutschland und Österreich getrennte Wege - zunächst in kritischem Respekt, dann in wachsender freundschaftlicher Geneigtheit. Beide Staaten sind im Rückblick gut mit dieser Lösung gefahren. Mit dem Staatsvertrag von 1955, einem Meilenstein der zweiten Republik, wurde Österreich souverän und frei. Das ist nun schon 60 Jahre her. Längst bekennen sich die Österreicher ganz selbstverständlich zu ihrer Identität, voller Stolz auf dieses Land mit seiner wunderschönen Landschaft, seiner tiefverwurzelten Kultur, seiner politischen Stabilität und seinem sozialen Frieden. // In den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs standen Österreich und Deutschland vielfach vor ähnlichen Herausforderungen. Zunächst strebten beide nach dem Ende der Besatzung und nach der Wiederherstellung der staatlichen Souveränität, was im Falle Deutschlands erheblich länger dauerte als im Falle Österreichs. Beide Länder hatten gewaltige Leistungen zu erbringen, um die vielen Flüchtlinge und Vertriebenen zu integrieren. Auch in Österreich standen zunächst der Wiederaufbau des Landes und die Mehrung des Wohlstands im Vordergrund. Dabei flüchteten viele Österreicher ebenso wie viele Westdeutsche vor den langen Schatten der Vergangenheit ins große Schweigen oder auch in die Traumwelt von Heimatfilmen oder Schlagermusik. Es hat mich sehr bewegt, Herr Bundespräsident, wie Sie diese Zeit und die Position innerhalb der Bevölkerung hier gerade beschrieben haben. // Der Umgang mit der eigenen Vergangenheit, das musste erst erlernt werden, von Deutschen wie von Österreichern. Sie, Herr Bundespräsident, gehörten 1962 zu den ersten, die in Österreich die fortdauernde Weitergabe von antisemitischem oder neonazistischem Gedankengut unter dem Dach einer Hochschule anprangerten. In den 1980er Jahren drangen die Dispute aus der Alpenrepublik bis ins europäische Ausland und bis nach Amerika. Ich weiß zu schätzen, welche große Bedeutung den Worten von Franz Vranitzky zukam, der 1991 als erster Bundeskanzler im Nationalrat aussprach, was lange - für einige viel zu lange - tabuisiert worden war: "Wir bekennen uns zu allen Taten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen. Und so, wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen, haben wir uns für die bösen zu entschuldigen, bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten." // Deutschland hat nach seinen eigenen Erfahrungen im Umgang mit nationalsozialistischer, später auch mit kommunistischer Vergangenheit ähnliche Überzeugungen gewonnen wie Österreich: Wenn wir uns offen und unvoreingenommen der Vergangenheit nähern, kann Wissen an die Stelle des Schweigens treten. Wahrheit hilft und Wahrheit befreit. Wir achten die Erfahrungen eines jeden Einzelnen. Gewiss: Wir sind nationale Narrative gewohnt. Aber wir können durchaus die eigenen Sichtweisen um die Sichtweisen der Anderen erweitern, und wir können unsere bisherigen Sichtweisen, wo es erforderlich ist, verändern: Das beste Korrektiv gegenüber einem Denken, das sich primär am Nationalen orientiert, ist die Orientierung an universellen Werten, an den Menschenrechten und an der Menschenwürde. // Lassen Sie mich noch einen Blick auf die letzten Jahrzehnte werfen. In einem beispiellosen Einigungsprozess ist es gelungen, die Staaten, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg verfeindet und misstrauisch gegenüber standen, auf der Grundlage der Prinzipien von Frieden, Freiheit und Menschenrechten zusammenzuführen. Es war ein Einigungsprozess, der zunächst im Westen des Kontinents, Jahrzehnte später auch in der Mitte und im Osten stattfand. Den Europäern ist es fast überall auf unserem Kontinent gelungen, den Dialog an die Stelle der Feindschaft, und das Miteinander der Verschiedenen an die Stelle eines Wettkampfs um Vorherrschaft und Macht zu setzen. Europa ist damit zum Modell für viele demokratische und freiheitsliebende Menschen auf der ganzen Welt geworden. // An dieser Stelle liegt es nahe, einen weiteren Jahrestag ins Gedächtnis zu rufen: Vor fast genau zwanzig Jahren, am 1. Januar 1995, wurde Österreich Mitglied der Europäischen Union. Sich militärisch zur Neutralität verpflichtend, ist Österreich politisch doch immer ein Teil jener Völkerfamilie gewesen, die sich der Freiheit des Einzelnen und des Rechts auf nationale Selbstbestimmung verschrieben hat. Gerade Österreich, das kommunistischen Ländern Nachbar war, wurde ein wichtiger Ort der Sehnsucht und der Zuflucht für Verfolgte aus Mittel- und Osteuropa. // Die besondere Anteilnahme der Österreicher am Schicksal der Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs verdient großen Respekt. Während des Aufstands 1956 standen sie an der Seite der freiheitsliebenden Ungarn. 1968 hofften und bangten sie mit den Tschechen und Slowaken während des Prager Frühlings. Flüchtlingen aus beiden Ländern begegneten sie mit viel Sympathie und Hilfsbereitschaft. Und im Frühsommer 1989 war Österreich gerne bereit, tausenden von DDR-Bürgern ein erstes Obdach zu bieten, als sich die Chance für die Flucht dieser Menschen bot, weil Ungarn schon den Schießbefehl aufgehoben und die Grenzen partiell geöffnet hatte. Das werden wir nicht vergessen und dafür bleiben wir dankbar. // Nachbarschaftliche und kulturelle Bande konnten erneuert werden, als Europa nach 1989 wieder eins wurde und Österreich den Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union stellte. Die Wirtschaft profitierte von der Einigung - und mit ihr die Menschen. Und doch haben sich die Hoffnungen auf eine immer engere Zusammenarbeit nicht überall erfüllt. In einigen Ländern Europas, auch innerhalb der Europäischen Union, sehen wir Gefahren für Rechtsstaat und Pluralismus, in anderen das Anwachsen populistischer und nationaler bis nationalistischer Strömungen und Parteien. Sogar ein so großer und für uns alle so wichtiger Partner wie Großbritannien hat Schwierigkeiten, seine Mitgliedschaft in der EU dauerhaft zu bejahen. Dazu kommt noch die Gefahr, die islamistische Terrororganisationen innerhalb Europas darstellen. Angesichts dieser Herausforderungen gewinnt die gemeinsame Verteidigung und Festigung von Einheit, Freiheit und Demokratie in Europa eine neue, eine große Bedeutung. // Deshalb erscheint mir ein abgestimmtes, ja gemeinsames Vorgehen der Europäischen Union in der Außenpolitik besonders bedeutsam zu sein. Wenn keine Garantie mehr besteht, dass überall in Europa das Völkerrecht geachtet wird, dann haben die Mitglieder der Europäischen Union neu über ihre gemeinsame Sicherheit nachzudenken. // Unsere beiden Staaten haben je eigene Erfahrungen gemacht mit den Möglichkeiten und den Grenzen der Politik in den Zeiten des Kalten Krieges: Konkurrenz und Konfrontation zwischen den beiden Machtblöcken bargen immer auch die Gefahr eines "heißen" Krieges. Trotz mancher Enttäuschungen setzen wir deshalb heute auf Deeskalation und Gespräch. // Zugleich wissen wir: Es war 1975 die Schlussakte des Helsinki-Prozesses und das Bekenntnis zu unveräußerlichen Menschenrechten und Grundfreiheiten, das der mitteleuropäischen Freiheitsbewegung auch Inspiration und Ermutigung bot. Es war der erklärte Wille der Menschen dort, unabhängig und selbstbestimmt, in Freiheit und Demokratie zu leben. Was vor einem Vierteljahrhundert bei Polen, bei Ungarn und Tschechen unsere ungeteilte Unterstützung fand, kann uns deshalb heute in der Ukraine nicht gleichgültig lassen. // Heute wie damals besteht Europa auf dem Respekt vor der Souveränität und territorialen Integrität jeden Landes und dessen Recht, seine Partner frei wählen zu dürfen. Heute wie damals weiß Europa, dass nichts den Wohlstand und das friedliche Zusammenleben besser sichert als die Menschen- und Bürgerrechte in einem funktionierenden Rechtsstaat. // Ich freue mich, dass ich an diesem Tag bei Ihnen sein kann. Und ich freue mich vor allem deshalb, weil unsere beiden voneinander getrennten Staaten doch noch mehr verbindet als eine gemeinsame Sprache. Es ist unser gemeinsames Wertefundament und es sind gemeinsame Ideale. Sie verbinden unsere Länder als gleichberechtigte Partner in der großen Familie der Europäischen Union. Und noch etwas verbindet uns: Österreich und Deutschland haben heute die gemeinsame Verantwortung, die Ordnung und die Werte auf denen sie beruht, in der Zukunft zu sichern. Es ist der Geist der europäischen Zusammenarbeit, der unsere Länder auch künftig vereinen wird. Der 70. Jahrestag der Wiedererrichtung der demokratischen Republik Österreich, zu dem ich von Herzen gratuliere, ist ein guter Anlass, sich darüber zu freuen und gemeinsam "Ja" zu sagen zu dieser Verantwortung.
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Joachim Gauck
Guten Abend aus dem Schloss Bellevue, ein frohes Weihnachtsfest wünsche ich Ihnen allen. // Ein frohes Weihnachtsfest - so wünschen wir es einander jedes Jahr. Aber vielen von uns fällt es in diesem Jahr nicht leicht, in weihnachtlicher Stimmung zu sein. Zwar hat sich die Mehrzahl der Deutschen mit Freude und Dank daran erinnert, dass wir nun schon seit 25 Jahren in einem wiedervereinigten, freien und demokratischen Land leben. // Aber das Jahr war doch in hohem Maß gekennzeichnet von Unglück, von Gewalt, Terror und Krieg. Wir erinnern uns an die schreckliche Flugzeugkatastrophe in den französischen Alpen. Wir rufen die zahlreichen Krisen auf, die sich überlagerten, fast alle andauern und bei zahllosen Menschen Unsicherheit, oft auch Angst auslösen. Ich nenne nur die Finanzkrise und die zunehmenden Differenzen in der Europäischen Union, ich nenne die intensiven Debatten um die Zukunft Griechenlands. Ich denke auch an die Ukraine, Syrien, Afghanistan, die vom Terror bedrohten Gebiete Afrikas. Und heute, Weihnachten, denke ich besonders an Menschen, die wegen ihres christlichen Glaubens verfolgt werden. Dankbar grüße ich die zivilen Helfer, die inmitten von Hunger, Not und Bürgerkrieg unermüdlich tätig sind. In gleicher Weise grüße ich die Soldatinnen und Soldaten, die im gefährlichen Kampf gegen die Wurzeln des Terrors, der vor kurzem unter anderem auch in Paris gewütet hat, eingesetzt sind. // Was uns gegenwärtig jedoch besonders umtreibt, ist die Frage: Wie sollen wir mit den vielen Flüchtlingen umgehen, die in unserem Land Bleibe und Zukunft suchen? // Wir standen und stehen vor einer besonders großen Herausforderung. Wo die Behörden an ihre Grenzen kamen, haben Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Menschen willkommen geheißen. Spontan und wie selbstverständlich. Tausendfach haben Sie Essen und Trinken, Decken und Kleidung gebracht, Sprachkurse organisiert und Unterstützung bei Behördengängen geleistet. // Sie alle sind zum Gesicht eines warmherzigen und menschlichen Landes geworden. // Auch von Berufs wegen haben Unzählige getan, was in ihren Kräften stand: in Landratsämtern und Stadtverwaltungen, in Sozial- und Gesundheitsbehörden, in Schulen und Kindergärten, bei den Landespolizeien und der Bundespolizei, in Bundesämtern und Ministerien. // Ob haupt- oder ehrenamtlich: Wir haben gezeigt, was in uns steckt - an gutem Willen und an Professionalität, aber auch an Improvisationskunst. Und wir haben gesehen: Der Einzelne wie auch die Gesellschaft können sich beständig neu entdecken und wachsen. So kann sich das Land erkennen in den Herausforderungen, die es annimmt und, da bin ich zuversichtlich, auch meistern wird. // Gegenwärtig belastet viele zwar die Heftigkeit der Debatte. Aber lassen Sie mich daran erinnern: Der Meinungsstreit ist keine Störung des Zusammenlebens, sondern Teil der Demokratie. Lassen Sie uns einen Weg beschreiten heraus aus falschen Polarisierungen. Gerade die solidarischen und aktiven Bürger und Bürgermeister sind es ja oft, die auf ungelöste Probleme hinweisen. // Eines allerdings ist klar: Gewalt und Hass sind kein legitimes Mittel der Auseinandersetzung, Brandstiftung und Angriffe auf wehrlose Menschen verdienen unsere Verachtung und verdienen Bestrafung. // Genauso klar ist: Nur mit offenen Diskussionen und Debatten können wir Lösungen finden, die langfristig Bestand haben und von Mehrheiten getragen werden. Wir sind es, die Bürger und ihre gewählten Repräsentanten, die entwickeln und verteidigen werden, was dieses unser liberales und demokratisches Land so lebenswert und liebenswert macht. Wir sind es, die Lösungen finden werden, die unseren ethischen Normen entsprechen, und den sozialen Zusammenhalt nicht gefährden. Lösungen, die das Wohlergehen der eigenen Bürger berücksichtigen, aber nicht die Not der Flüchtlinge vergessen. // Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, das Weihnachtsfest erinnert uns daran, dass wir Menschen Kraftquellen benötigen, um unser Leben immer wieder zu meistern - im Politischen wie im Privaten. // Für unzählige ist es die Familie, die ihnen Geborgenheit und das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Bei anderen sind es Freunde und Wahlverwandte, die sie motivieren, stützen und tragen. // Aber es ist doch auch das Weihnachtsfest selbst mit seiner Botschaft, die uns in schwierigen Zeiten hilft, Wege der Mitmenschlichkeit zu finden. // Die Heilige Schrift der Christen erzählt davon, dass sich im Weihnachtsgeschehen die Menschenfreundlichkeit Gottes zeigt. Es ist schön, von dieser Menschenfreundlichkeit umfangen zu werden. Aber noch schöner ist es, diese Menschenfreundlichkeit selbst zu leben und in unsere Welt hinein zu tragen. // Mit dieser leisen Ermutigung wünsche ich uns allen, dass wir ein frohes und gesegnetes Weihnachten feiern können und miteinander in ein neues gutes Jahr gehen.
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Joachim Gauck
Heute vor 75 Jahren begann hier auf der Westerplatte der Zweite Weltkrieg. Während des Krieges standen mehr als 110 Millionen Menschen unter Waffen, fast 60 Millionen kamen um. Mehr als 60 Staaten waren in diesen Krieg verwickelt, in einem Waffengang, der erst nach sechs Jahren endete und mit dem Völkermord an den Juden eine bis dahin unbekannte Grausamkeit und Menschenverachtung erreichte. // Die Menschen hier in Polen haben entsetzlich gelitten unter diesem Krieg, der ihnen vom Deutschen Reich aufgezwungen worden war. Denn nach der militärischen Niederlage im Oktober 1939 setzte sich die Gewalt als Terror gegen die Zivilbevölkerung fort. Hitler wollte mehr als die Korrektur der Grenzen von Versailles - er suchte sogenannten "Lebensraum" für das deutsche Volk. Hitler wollte auch mehr als einen polnischen Vasallenstaat - er strebte die gänzliche Vernichtung des Staates an - die Auslöschung seiner führenden Schicht und die Ausbeutung der übrigen Bevölkerung. // Hitler nutzte Polen als Laboratorium für seinen Rassenwahn, als Übungsfeld für seine Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik gegenüber Slawen und Juden. Fast sechs Millionen polnische Bürger wurden willkürlich erschossen oder systematisch liquidiert. Sie endeten in Gefängniszellen, bei der Zwangsarbeit, im Bombenhagel oder in den Konzentrationslagern. // Und noch etwas kennzeichnet dieses Land: Keine andere Nation hat in einem derartigen Umfang und so lange Widerstand geleistet. Polen wollten ihr Land eigenständig befreien. Polen wollten ein freies, ein selbstbestimmtes und unabhängiges Land. // Als die Befreiung dann endlich kam, brachte sie der Nation jedoch weder Freiheit noch Unabhängigkeit. Polen zählte zu den Siegern, doch weder Freiheit noch Unabhängigkeit wurden Ihrem Land zuteil. Mit der sowjetischen Herrschaft folgte eine Diktatur auf die vorangegangene. Frei wurde Polen erst dank Solidarnosc. // Die bitteren Erfahrungen gerade der polnischen Nation zeigen: Wirklich in Frieden mit den Nachbarn leben nur Völker, die unabhängig und selbstbestimmt über ihr Schicksal entscheiden können. Wirklich in Frieden mit den Nachbarn leben nur Völker, die die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Anderen respektieren. // Heute dürfte es in Deutschland nur noch wenige Menschen geben, die persönliche Schuld für die Verbrechen des NS-Staates tragen. Ich selber war gerade fünf Jahre alt, als der Krieg zu Ende ging. Aber als Nachfahre einer Generation, die brutale Verbrechen begangen oder geduldet hat, und als Nachfahre eines Staates, der Menschen ihr Menschsein absprach, empfinde ich tiefe Scham und tiefes Mitgefühl mit jenen, die unter den Deutschen gelitten haben. Für mich, für uns, für alle Nachgeborenen in Deutschland, erwächst aus der Schuld von gestern eine ganz besondere Verantwortung für heute und morgen. // Wenn die Beziehungen zwischen Völkern so tief von Unrecht, von Schmerz, von Arroganz und Demütigung geprägt waren wie bei Deutschen und Polen, ist eine Entfeindung alles andere als selbstverständlich. Die Annäherung zwischen unseren Völkern kommt mir daher wie ein Wunder vor. // Um dieses Wunder Wirklichkeit werden zu lassen, brauchte und braucht es Menschen, die politische Vernunft und einen starken Willen einbringen. Politische Vernunft, um den Weg weiter zu beschreiten, den Westeuropa 1950 mit der Schaffung einer europäischen Völkerfamilie begann und nach 1989 gemeinsam mit Mittel- und Osteuropa fortsetzte. Ferner den starken Willen, die schmerzhafte Vergangenheit wohl zu erinnern, aber letztlich doch hinter sich zu lassen - um einer gemeinsamen Zukunft willen. // Ich kenne die langen Schatten, mit denen Leid und Unrecht die Seelen der Menschen verdunkeln. Ich weiß, dass Leid betrauert werden will und dass Unrecht nach ausgleichender Gerechtigkeit ruft. Deshalb brauchen wir weiter den aufrichtigen Umgang mit der Vergangenheit, der nichts verschweigt und nichts beschönigt und den Opfern Anerkennung zuteilwerden lässt. Ich weiß allerdings auch, dass Wunden nicht heilen können, wenn Groll oder Ressentiments die Versöhnung mit der neuen Wirklichkeit verhindern und dem Menschen die Zukunft rauben. // Um eben dieser Menschen willen dürfen wir altem und neuem Nationalismus keinen Raum geben. Um eben dieser Zukunft willen lassen Sie uns weiter vereint das friedliche und demokratische Europa bauen und mit Dankbarkeit an jene Deutschen und Polen erinnern, die schon früh aufeinander zugingen: mutige Menschen in den evangelischen und katholischen Kirchen, in der Aktion Sühnezeichen, unter den Intellektuellen beider Länder. Gerade wir Deutschen werden nicht den Kniefall von Willy Brandt in Warschau vergessen, jene Geste der Demut, mit der er um Vergebung für die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg bat. In unserer Erinnerung bleibt auch die Umarmung von Bundeskanzler Helmut Kohl und Premierminister Tadeusz Mazowiecki im schlesischen Kreisau - nur drei Tage nach dem Fall der Mauer 1989. Auf berührende Weise symbolisierte sie das Ende von Feindschaft, von Misstrauen, von Krieg und den Wunsch nach Verständigung und Aussöhnung. // Als sich vor genau fünf Jahren hier auf der Westerplatte 20 europäische Staats- und Regierungschefs versammelten, um gemeinsam der Gräuel des Zweiten Weltkriegs zu gedenken, sahen wir uns auf dem Weg zu einem Kontinent der Freiheit und des Friedens. Wir glaubten und wollten daran glauben, dass auch Russland, das Land von Tolstoi und Dostojewski, Teil des gemeinsamen Europa werden könnte. Wir glaubten und wollten daran glauben, dass politische und ökonomische Reformen unseren Nachbarn im Osten der Europäischen Union annähern und die Übernahme universeller Werte in gemeinsame Institutionen münden würden. // Wohl niemand hat damals geahnt, wie dünn das politische Eis war, auf dem wir uns bewegten. Wie irrig der Glaube, die Wahrung von Stabilität und Frieden habe endgültig Vorrang gewonnen gegenüber dem Machtstreben. Und so war es ein Schock, als wir mit der Tatsache konfrontiert wurden, dass am Rande von Europa wieder eine kriegerische Auseinandersetzung geführt wird. Eine kriegerische Auseinandersetzung um neue Grenzen und um eine neue Ordnung. Ja, es ist eine Tatsache: Stabilität und Frieden auf unserem Kontinent sind wieder in Gefahr. // Nach dem Fall der Mauer hatten die Europäische Union, die NATO und die Gruppe der großen Industrienationen jeweils besondere Beziehungen zu Russland entwickelt und das Land auf verschiedene Weise integriert. Diese Partnerschaft ist von Russland de facto aufgekündigt worden. Wir allerdings wünschen uns auch in Zukunft Partnerschaft und gute Nachbarschaft. Aber die Grundlage muss eine Änderung der russischen Politik und eine Rückkehr zur Achtung der Prinzipien des Völkerrechts sein. // Weil wir am Recht festhalten, weil wir es stärken und nicht dulden, dass es durch das Recht des Stärkeren ersetzt wird, stellen wir uns jenen entgegen, die internationales Recht brechen, fremdes Territorium annektieren und Abspaltung in fremden Ländern militärisch unterstützen. Und deshalb stehen wir ein für jene Werte, denen wir unser freiheitliches und friedliches Zusammenleben verdanken. Wir werden Politik, Wirtschaft und Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen. Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten lassen sich in diesen Grundfragen nicht auseinanderdividieren, auch nicht in der Zukunft. // Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern. Die Geschichte lehrt uns auch, dass aus unkontrollierter Eskalation eine Dynamik entstehen kann, die sich irgendwann der Steuerung entzieht. Und deshalb strebt Deutschland - wie die ganze Europäische Union - nach einer deeskalierenden Außen- und Sicherheitspolitik, die Prinzipienfestigkeit und Kompromissfähigkeit, Entschiedenheit und Elastizität miteinander verbindet - und die imstande ist, einer Aggression Einhalt zu gebieten ohne politische Auswege zu verstellen. // Europa steht vor neuen, vor großen Herausforderungen. Was wir augenblicklich erleben ist die Erosion alter Ordnungen und das Aufflackern neuer Formen von Gewalt an unserer Peripherie. Das gilt auch für den Nahen Osten und Nordafrika. Nur an wenigen Orten führte der Arabische Frühling zu Demokratie und Stabilität, vielerorts halten die Unruhen und die Machtkämpfe an. Starken Einfluss gewannen islamistische Gruppen, besonders gewalttätige Fundamentalisten setzten sich in Teilen von Syrien und im Irak durch. // Im Unterschied zu früheren Rebellionen geht es diesen Gruppen nicht um einen Machtwechsel im nationalstaatlichen Rahmen. Sie sind viel radikaler und zielen auf die Errichtung eines terroristischen Kalifats im arabischen Raum. Fanatisierte und brutalisierte Frauen und Männer aus unterschiedlichen Ländern missbrauchen die Religion und die Moral, um alle zu verfolgen und unter Umständen zu ermorden, die sich ihnen widersetzen - Muslime ebenso wie Andersgläubige. Unsere westlichen Staaten und Städte halten sie für Orte der Verderbnis. Die aus der Aufklärung erwachsene Gesellschaftsform der Demokratie wird von ihnen bekämpft und die Universalität der Menschenrechte, sie wird von ihnen geleugnet. // Verhinderung wie Bekämpfung dieses Terrorismus liegen ganz existentiell im gemeinsamen Interesse der Staatengemeinschaft und damit Europas. Erstens wegen der geographischen Nähe: Die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten kommen zu uns nach Europa, und die Terroristen werben neue Rekruten auch in unseren Staaten an. Zweitens, weil der Konflikt unsere europäischen Länder erreichen kann. Nicht auszuschließen ist, dass auch europäische Staaten zum Ziel islamistischer Angriffe werden. // Wenn wir den heutigen Jahrestag hier auf der Westerplatte gemeinsam begehen, so konfrontieren wir uns nicht nur mit dem, wozu Menschen im Zweiten Weltkrieg fähig waren. Wir konfrontieren uns heute gemeinsam auch ganz bewusst mit dem, wozu Menschen heute fähig sind. // Ja, uns führt heute das Gedenken zusammen, aber genauso stehen wir zusammen angesichts der aktuellen Bedrohungen. Niemand sollte daran zweifeln: Deutsche und Polen stehen beieinander und ziehen am selben Strang. Gemeinsam nehmen wir die besondere Verantwortung an, die uns mit den Konflikten in unserer Nachbarschaft zugewachsen ist. Wir handeln entsprechend und engagieren uns für friedliche Lösungen. // Auch die Europäische Union muss angesichts der neuen Herausforderungen zusammenstehen. Denn nur gemeinsam können wir das demokratische und friedliche Europa der Zukunft bauen. Und nur gemeinsam können wir es verteidigen.
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Joachim Gauck
Ich habe mich auf meinen Antrittsbesuch bei der Bundeswehr ganz besonders gefreut. Sie können sich wahrscheinlich nur sehr bedingt vorstellen, warum das so ist und warum ich so gerne zu Ihnen gekommen bin, hier an die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. // Soldaten und Militär - das war nämlich in meinem früheren Leben allgegenwärtig, in den Gesellschaften, in denen ich lebte bis zu meinem 50. Lebensjahr. Es sind keine guten Gefühle, die in mir hochkommen, wenn ich an diese Zeit denke. Wenn ich mich erinnere an all diese Aufmärsche, an die Militarisierung unserer Schulen, an die Erziehung zum Hass auch im Offizierscorps und unter den Soldaten, an die Ablehnung eines Zivildienstes durch Partei und Staat, an die militärische "Absicherung" einer unmenschlichen Grenze - und zwar nicht gegen einen Aggressor, sondern gegen das eigene Volk. Ich habe also in einem Land gelebt, in dem die Armee einer Partei verpflichtet war. Eine Armee, die "Volksarmee" hieß, aber es nicht war. Eine Partei, die von sich behauptet hat, den Volkswillen zu vertreten und die sich nicht gescheut hat, Soldaten unter Umständen auch gegen das Volk einzusetzen. Ich habe das Militärische also kennengelernt als eine - nicht nur physische - Begrenzung von Freiheit. // Und nun stehe ich vor Ihnen hier in Hamburg als Bundespräsident des vereinigten Deutschland. Ich stehe vor der Bundeswehr, zu der ich seit zweiundzwanzig Jahren auch "meine Armee" sagen kann. Und bin froh, weil ich zu dieser Armee und zu den Menschen, die hier dienen, aus vollem Herzen sagen kann: Diese Bundeswehr ist keine Begrenzung der Freiheit, sondern eine Stütze der Freiheit. // Jetzt ahnen Sie vielleicht, wie wertvoll dieser Besuch für mich ist und wie wertvoll die Begegnungen mit gebildeten Offizieren, die ich heute haben konnte, für mich sind. Welch ein Glück, dass es uns gelungen ist, nach all den Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland und nach den Gräueln des Krieges, in diesem Land eine Armee zu schaffen: eine Armee des Volkes, diesmal im besten Sinne, kein Staat im Staate in preußischer Tradition, keine Parteienarmee, sondern eine "Parlamentsarmee", an demokratische Werte gebunden, an Grundgesetz und Soldatengesetz; eine Armee unter der Befehlsgewalt eines Zivilisten, rekrutiert aus eigenverantwortlichen Bürgern und heute auch Bürgerinnen, die zu kritischen Geistern ausgebildet werden in Institutionen wie dieser; eine Armee, deren Einsätze unter dem Vorbehalt und der Zustimmung durch unsere Volksvertreter stehen und - wenn auch nicht genügend - öffentlich diskutiert werden. // All das kann einer wie ich, der zwei Drittel seines bisherigen Lebens in Diktaturen verbracht hat, nicht als selbstverständlich empfinden. In vielen Ländern der Welt ist es leider auch heute keine Selbstverständlichkeit. Und so ist für mich die Bundeswehr Teil dessen, was ich kürzlich in meiner Antrittsrede als "Demokratiewunder" in Deutschland bezeichnet habe. Ein Demokratiewunder, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen vollzogen hat - und vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten dann auch im Osten unseres Landes mit einer ganz eigenen Dynamik. // Ich denke daran, wie in den Jahren nach 1990 die Bundeswehr eine "Armee der Einheit" wurde - und wie aus Soldaten, die einst vielleicht aufeinander hätten schießen müssen, Kameraden wurden. Daran hat übrigens auch die engagierte Bildungsarbeit der Bundeswehr einen großen Anteil und ich denke an die verantwortlichen Offiziere und Politiker, die daran maßgeblich mitgewirkt haben, mit Dankbarkeit. Und ich möchte mit meinem Antrittsbesuch an diesem Ort, an diese komplizierte Phase ganz bewusst erinnern. Es gehört mit zu den Führungsaufgaben die Sie begleitet und gestaltet haben. // Liebe Soldatinnen und Soldaten, Sie schützen und verteidigen das, was uns am wichtigsten ist, auch über die Grenzen unseres Landes hinaus: Freiheit und Sicherheit, Menschenwürde und das Recht jedes Einzelnen auf Unversehrtheit. Sie handeln dabei im Auftrag einer freiheitlichen Demokratie. Sie sind als "Staatsbürger in Uniform" Teil dieser Gesellschaft, Sie stehen mit Ihrem Dienst für diese Gesellschaft ein. // Diese Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt, und auch Sie in der Bundeswehr stehen vor Aufgaben des Wandels. Ich nenne nur ein paar Stichworte: zunehmende finanzielle Zwänge, Reformen, damit haben Sie hier natürlich eine jahrzehntelange Übung, technische Neuerungen, Schließung von Standorten; die vollständige Öffnung der Bundeswehr für Frauen und, erst kürzlich, der Wegfall der allgemeinen Wehrpflicht, was viele in Deutschland noch bis heute nicht richtig verstanden haben, dazu gemeinsame Auslandseinsätze mit verbündeten Nationen und neue Arten von Bedrohungen und asymmetrischen Kriegen. // Vieles haben Sie gemeistert, vieles müssen Sie noch meistern. Sie werden es meistern, da bin ich mir sicher. Denn Sie stellen sich hier professionell und mit einem hohen Ethos darauf ein. // Diese Bundeswehr hat nie auf starre Strukturen und Prinzipien gesetzt. Sie hat sich bewusst und bedacht von vielen unguten militärischen Traditionen abgesetzt, auch wenn das in der Geschichte der Bundeswehr sicher manchem alt gedienten Offizier anderer Armeen nicht immer leicht gefallen ist. Sie hat mit ihrer Kultur der "inneren Führung" Diskussion und Reflexion möglich gemacht und damit auch Veränderungsfähigkeit. Bei meinem Rundgang hier in der Führungsakademie war ich sehr beeindruckt von dem, was Sie "Veränderungsmanagement" nennen. Diese Lernfähigkeit bei gleichzeitig fester Wertebasis ist das Fundament, auf das die Bundeswehr auch in Zukunft bauen kann. // Die Welt um uns verändert sich rasant. "Wir übernehmen jetzt Verantwortung für Dinge, über die wir früher nicht einmal nachgedacht hätten", so hat es kürzlich General Carl-Hubertus von Butler ausgedrückt, bis vor kurzem Befehlshaber des Heeresführungskommandos. Vor wenigen Tagen ging durch die Presse, wie sich die Bundeswehr für den sogenannten "Cyberkrieg" rüstet. Und während wir hier sitzen, stehen Tausende von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auf drei Kontinenten in Einsätzen ihren Mann und ihre Frau. // Die Bundeswehr auf dem Balkan, am Hindukusch und vor dem Horn von Afrika, im Einsatz gegen Terror und Piraten - wer hätte so etwas vor zwanzig Jahren für möglich gehalten? Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, werden heute ausgebildet mit der klaren Perspektive, in solche Einsätze geschickt zu werden - mit allen Gefahren für Leib, Seele und Leben. Sie haben einen Anspruch darauf, dass wir, die Zivilen, uns bewusst machen, was Ihnen abverlangt wird und welche Aufgaben wir von Ihnen in der Zukunft erwarten. All das darf nicht allein in Führungsstäben und auch nicht allein im Parlament debattiert werden. Es muss da debattiert werden, wo unsere Streitkräfte ihren Ort haben: in der Mitte unserer Gesellschaft. // Sie werden jetzt vielleicht - und zu Recht - sagen: bitte, an uns soll's nicht liegen, das kann ja geschehen. Wir hätten gerne mehr als bloß das heute sprichwörtliche "freundliche Desinteresse", das schon der frühere Bundespräsident Horst Köhler bedauernd festgestellt hat. Die Bundeswehr steht zwar mehr denn je unter Beobachtung der Medien. Und doch ist sie im öffentlichen Bewusstsein nicht sehr präsent. // Es liegt wohl zum einen an der unvermeidlichen räumlichen Distanz: Viele Standorte der Bundeswehr mussten geschlossen werden, Sie sind als Soldatinnen und Soldaten im Alltag unserer Städte und Gemeinden einfach weniger präsent. Und wer kann sich schon vorstellen, als Zivilist in dem so friedlichen Deutschland, wie es sich lebt in Masar-i-Scharif oder in Prizren, welche Entbehrungen diejenigen in Kauf nehmen müssen, die außerhalb der Feldlager ihren Auftrag erfüllen, welchen Belastungen sie tatsächlich tagtäglich ausgesetzt sind? // Zum anderen ist es aber so, dass bei vielen ein Nicht-Wissen-Wollen existiert. Das ist irgendwie menschlich: Wir wollen nicht behelligt werden mit Gedanken, dass es langfristig auch uns betreffen kann, wenn anderswo Staaten zerfallen oder Terror sich ausbreitet, wenn Menschenrechte systematisch missachtet werden. Wir denken eben nicht gerne daran, dass es heute in unserer Mitte wieder Kriegsversehrte gibt. Menschen, die ihren Einsatz für Deutschland mit ihrer seelischen oder körperlichen Gesundheit bezahlt haben. Und noch viel weniger gerne denken wir daran, dass es wieder deutsche Gefallene gibt, das ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen. // Die Abscheu gegen Gewalt ist dabei verständlich. Gewalt, auch militärische Gewalt, wird ja immer ein Übel bleiben. Aber sie kann - solange wir in der Welt leben, in der wir leben - eben nicht in einer geheilten, sondern in einer tief gespaltenen Welt, sie kann in einer solchen Welt notwendig und sinnvoll sein, um ihrerseits Gewalt zu überwinden oder zu unterbinden. Allerdings müssen wir dann, wenn wir zu dem letzten Mittel der militärischen Gewalt greifen, diese gut begründen. Wir müssen diskutieren: darüber, ob wir mit ihr die gewünschten Ziele erreichen oder ob wir schlimmstenfalls neue Gewalt erschaffen. Wir müssen auch darüber diskutieren, ob wir im Einzelfall die Mittel haben, die für ein sinnvolles Eingreifen nötig sind. Alle diese Fragen gehören - mit den handelnden Personen - gehören sie in die Mitte unserer Gesellschaft. // Dass Frieden, Freiheit und Achtung der Menschenrechte vielfach nicht von alleine entstehen - wer wüsste das besser als wir Deutschen? Es waren ausländische Soldaten, die unserem Land die Möglichkeit der Freiheit schenkten, als sie selbst für ihre eigene Freiheit kämpften. Deshalb: "Ohne uns" als purer Reflex kann keine Haltung sein, wenn wir unsere Geschichte ernst nehmen. Unsere Bundeswehr hat sich von unseligen militärischen Traditionen gelöst, sie ist fest verankert in einer lebendigen Demokratie. Sie hat deshalb unser Zutrauen verdient, nicht nur in Debatten um den "gerechten Krieg" zu bestehen, sondern auch einem "gerechten Frieden" den Weg zu bahnen, indem sie beiträgt zur Lösung von Konflikten, indem sie friedliche Koexistenz zu schaffen sucht, dort wo Hass regiert. // Freiheit, so haben wir gelernt, ist ohne Verantwortung nicht zu haben. Sie entbehrt auch ihres Wertes und ihrer Würde ohne diesen Begriff. Für Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, ist diese Haltung schrittweise selbstverständlich geworden. Ist sie es auch in unserer Gesellschaft? Freiheit und Wohlergehen sehen viele als Bringschuld der Demokratie und des Staates. Manche verwechseln dabei aber Freiheit mit Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit oder auch Hedonismus. Andere sind wiederum sehr gut darin, ihre Rechte wahrzunehmen oder gegebenenfalls sie auch vehement einzufordern. Und vergessen dabei allzu gern, dass eine funktionierende Demokratie auch Einsatz fordert, Aufmerksamkeit, Mut, und eben manchmal auch das Äußerste, was ein Mensch geben kann: das Leben, das eigene Leben. // Diese Bereitschaft zur Hingabe ist selten geworden in Zeiten, da jeder für sich selbst Verantwortung zu übernehmen hat - und zu viele meinen, damit schon genug Verantwortung zu tragen. Hier, in der Bundeswehr, treffe ich überall auf Menschen mit der Bereitschaft, sich für etwas einzusetzen - gewissermaßen treffe ich auf "Mut-Bürger in Uniform"! // Man trifft diese Bereitschaft selbstverständlich auch an anderen Orten, in sehr vielen zivilen sozialen Berufen etwa oder etwa wenn man die Orden verleiht, wie es Bundespräsidenten regelmäßig tun dürfen. Diejenigen, die ich jetzt anspreche, sind nicht die einzigen, die Freiheit als Verantwortung definieren, sondern es gibt ganze Netzwerke in unserer Gesellschaft von Menschen, die es genauso sehen, ob als Zivilisten oder in Uniform. Für solche Menschen hat das Wort "dienen" keinen altmodischen Klang. Es ist Teil ihres Lebens oder - wie in Ihrem Fall - auch ihres Berufes. Darum ist ja auch die Bezeichnung "Staatsbürger in Uniform" so gut, wir wollen sie bewahren: Sie sind eben nicht nur Bürger, sondern auch Staatsbürger, diesem Land verpflichtet. // Ihr Werbespruch "Wir. Dienen. Deutschland." trifft es auf den Punkt - das heißt, mit gleich drei Punkten nach meinem Geschmack fast zuviel, aber Sie haben ja etwas beabsichtigt mit dieser Punktierung. Er trifft, nicht allein, was das "dienen" betrifft. Er lässt eben auch einen Patriotismus aufscheinen, der sich - frei nach Johannes Rau - darin zeigt, dass man sein Heimatland liebt, die Heimatländer der anderen darum aber nicht verachten muss. // Und auch dem "Wir" dient diese Bundeswehr in einem ganz besonderen Sinn: Keine Institution hat so umfassend und so früh junge Menschen, junge Männer aus beiden Teilen Deutschlands zusammengebracht, unmittelbar nach der Neuvereinigung unseres Landes. Hier arbeiten Menschen aus Ost und West, aus Nord und Süd, junge und ältere, solche mit und ohne ausländische Wurzeln zusammen. Und durch die Tore dieser Führungsakademie laufen täglich Militärangehörige aus rund 60 Nationen. Gemeinsame Einsätze mit befreundeten Streitkräften und insbesondere auch Ausbildungen wie der "Lehrgang Generalstabs-/ Admiralstabsdienst mit internationaler Beteiligung", der heute sein 50. Jubiläum feiert, sind wichtige Motoren der Verständigung zwischen ganz unterschiedlichen Völkern. Ich gratuliere Ihnen zu dieser guten Tradition. Die Bundeswehr ist - gerade durch solche Lehrgänge und Begegnungen - zu einem Friedensmotor geworden. Sie befördert das große "Wir", ohne das ein dauerhafter Friede nicht möglich ist. // Wie bildet man Menschen aus, die solch wichtige Aufgaben übernehmen? An dieser Führungsakademie, das habe ich gespürt, wird kein geistiger Gleichschritt gelehrt. Hier werden Persönlichkeiten gebildet und eine Fülle von Fähigkeiten entwickelt: Entscheidungsvermögen und Übersicht in fordernden Gefechtssituationen, aber auch politisches Urteilsvermögen und diplomatisches Fingerspitzengefühl, die Fähigkeit, Widerspruch in Rede und Gegenrede zu begründen, interkulturelle Kompetenz und der Umgang mit Medien. Alles in allem: die hohe Kunst, Verantwortung zu übernehmen. // "Sie stehen nicht nur persönlich vor ihren eigenen Soldaten im Rampenlicht, sondern als Verantwortliche der Bundeswehr mitten in den Fragestellungen unserer ganzen Gesellschaft." So hat es Richard von Weizsäcker vor 25 Jahren - und bis heute zutreffend - formuliert. Für diese wichtige Aufgabe wünsche ich Ihnen weiterhin viel Glück, Mut, Selbst- und Gottvertrauen. Ich bin froh, Ihnen heute aus vollem Herzen sagen zu können: Für diese unsere Bundeswehr bin ich dankbar! Das sagt der Bürger Joachim Gauck genauso wie der Bundespräsident.
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Joachim Gauck
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, mit dieser Anrede gebe ich die Begrüßungsformel an Sie zurück, Herr Bürgermeister. Sie haben gemeint, stolz und glücklich sein zu sollen, weil ich Sie besuche. Nein, es ist anders. Ich bin stolz und glücklich, dass es Sie gibt, Sie und Ihre Bürgerinnen und Bürger. // Ich bin hierher gekommen, weil ich einmal exemplarisch in der Nähe von gelösten und ungelösten Problemen sein möchte. Wir alle in Deutschland, ob wir Wähler oder Gewählte sind, wir alle wissen: Wir stehen vor schweren Herausforderungen, und landauf, landab wird nun gerätselt - hoffentlich auch geplant und nicht nur gerätselt und geklagt -, was zu tun ist. Und das Erste, was ich nicht nur Ihnen, sondern allen Deutschen sagen möchte, ist: Zu einer Zeit von Herausforderungen gehören Debatten und Kontroversen, aber sie gehören in die Mitte der Gesellschaft. Wir wollen nicht, dass auf der einen Seite die guten Menschen mit den weiten Herzen stehen und auf der anderen Seite die Engherzigen. Die einen dürfen jammern und klagen, und die anderen dürfen schaffen und umsorgen und sich freuen, dass wir so solidarisch sind. So wird das alles nicht funktionieren. // Sie haben sich ja an die Landesregierung gewandt, an die Bundesregierung, manchmal wenden Sie sich auch an die Gebietskörperschaft, und Sie bitten um Verständnis oder um Solidarität und um Hilfe. Wir müssen begreifen, dass wir beides tun können. Wir können solidarisch handeln und gleichzeitig eine Problemanalyse betreiben und Sorgen und Besorgnisse benennen. Wenn wir in der Mitte der Handelnden und der Solidarischen aufhören, die Probleme zu besprechen, die unsere Mitbürger betreffen, dann werden am rechten Rand genug Verführer und Nutznießer sein, die sich dieser Probleme bemächtigen und so tun, als wären sie die Einzigen, die darüber sprechen. So darf das natürlich nicht sein. Und darum müssen wir in der Mitte der Gesellschaft auch ertragen, dass es gesellschaftliche Debatten und manchmal auch Streit gibt. So ist das in der Demokratie. Die offene Gesellschaft kommt ohne diese Form der Kommunikation gar nicht aus. Und dann dürfen auch Abgeordnete mal unterschiedlicher Meinung sein. Und das ist auch noch normal. Und wir, in den Gemeinden, Bürgerinnen und Bürger, die vor der Situation stehen, dass die Turnhalle ihrer Kinder gerade belegt ist oder dass eine benachbarte Liegenschaft genutzt wird in einer Weise, wie es nicht geplant war, die dürfen das Maul aufmachen. Die dürfen sagen "Bürgermeister, was machst du gerade mit uns?" Und der Bürgermeister ist gut beraten, wenn er rechtzeitig mit den Bürgerinnen und Bürgern spricht, was er zu tun gedenkt. Und dann kann er die Bürgerinnen und Bürger auch fragen: "Ja, was soll ich denn sonst machen? Soll ich die Leute unter Brücken schlafen lassen oder am Fluss oder an der Landstraße liegen lassen?" Und dann wird er hören, was für Antworten er bekommt. // Und deshalb bin ich froh darüber, dass ich in einer Stadt bin, wo es eine ganz herausragende Qualität von Engagement gibt, in der es so viele engagierte Bürgerinnen und Bürger gibt, in den Vereinen, in den Verbänden, unseren Hilfsorganisationen, einfach überall. Ob es die freiwillige Feuerwehr, die Polizei oder welche Organisation auch immer ist. Diese Unmenge von freiwilligen Helfern, die überall im ganzen Land sind. Ich bin dankbar und glücklich, dass dieses Land sich so selbst erkennt in seinen Potentialen, in seiner Fähigkeit, nicht wegzuschauen, sondern hinzusehen und helfen zu wollen. Wunderbar. Wir haben es so nicht erwartet. Wir könnten unser Land, wenn es eine Person wäre, so ansprechen: "Du, das hätte ich von dir nicht erwartet. Das gefällt mir." Und indem wir unser Land so ansprechen, erkennen wir uns auch in unseren Potentialen, in unseren Möglichkeiten. Und jetzt kommt noch etwas hinzu: So wie Sportler, die Höchstleistungen erbringen, oder Musiker, die wunderbare Werke schaffen, so erkennen wir uns oft erst dann, wenn wir an die Grenzen des uns Möglichen gehen. Wenn wir in uns Fähigkeiten entdecken, von denen wir vorher nicht geglaubt hätten, dass wir sie haben. Und deshalb habe ich eben gesagt, wenn unser Land eine Person wäre, würde ich sagen: "Gut gemacht". // Bei diesem "gut gemacht", das will ich jetzt auch mal mit aller Deutlichkeit sagen, damit meine ich auch alle diejenigen, die beamtet, die angestellt sind, nicht nur die Ehrenamtlichen, die haben wir jetzt in den letzten Wochen dauernd gelobt. Ich will heute auch einmal diejenigen loben, die Überstunden machen, die, wie ich es heute von Ihrem Bürgermeister gehört habe, nachts um drei senkrecht im Bett stehen, um sich Gedanken zu machen und zu fragen: "Wo bringe ich die Leute unter?" Ich hoffe, er macht es nicht jede Nacht, dann haben Sie ihn nicht mehr lange. Aber dieses Bild eines engagierten Mitarbeiters, eines engagierten Bürgermeisters, eines engagierten Abteilungs- oder Referatsleiters, einer engagierten Mitarbeiterin am Computer - für alle die, die bei uns im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, sind das ja auch großartige Zeiten. Und für sie gilt, was ich eben für das ganze Land gesagt habe. Sie lernen sich neu kennen mit ihrer Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen und großartig zu sein. Das stärkt sie. // Und warum brauchen wir diese Stärke? Weil sich um uns herum an den Rändern eine Angstkultur entwickelt, die bedrohlich ist. Ängste sind oft etwas anderes als eine Problemanalyse. Sie sind diffus. Es werden Vermutungen geäußert, es werden Stereotypen bedient. Das ist gefährlich. Es werden Horrorszenarien für die Zukunft entwickelt. Und diese Horrorszenarien und diese negativen Stereotypen, sie haben alle eins gemeinsam: Sie entmächtigen uns, sie suggerieren uns, wir seien nicht im Stande, den Herausforderungen, vor denen wir stehen, zu entsprechen. // Aber, meine Damen und Herren, wir sind die, die wir geworden sind. Wir sind aus einer Nation, die zutiefst danieder lag, moralisch diskreditiert war, zu einer Nation geworden, die sich selber etwas zutraut. Wir sind die, die sich etwas zutrauen. Und indem wir uns das bewusst machen, fürchten wir uns auch nicht mehr vor einer Problemdebatte in der Mitte unserer Gesellschaft. Ich wiederhole mich da, aber das tue ich ganz bewusst, weil ich diese Aufteilung der Gesellschaft in diejenigen, die gutwillig und gutmütig und aufnahmebereit und aktiv sind, und diejenigen, die böswillig und fremdenfeindlich sind, die akzeptiere ich nicht. Ich weiß, dass es böswillige und fremdenfeindliche Menschen gibt, ich finde sie unerträglich. Auch wie sie mit den Ängsten von Menschen manipulieren, um sich selber Einfluss zuzueignen, der ihnen gar nicht zukommt. Das weiß ich. Aber so wenig wie wir diesen Angstmachern die Zukunft unseres Landes überlassen, ja, auch nur eine Rolle bei dieser Zukunft des Landes maßgeblich mitzuwirken, so wenig überlassen wir ihnen die Deutungshoheit über unsere Probleme, auch über unsere ungelösten Probleme. // Und deshalb meine Bitte an Sie und an alle anderen, die sich in der Mitte der Gesellschaft Sorgen machen, ob wir das schaffen: Reden Sie mit Ihrem Bürgermeister. Reden Sie mit Ihren Abgeordneten. Behalten Sie Ihre Befürchtungen nicht für sich. Konfrontieren Sie Ihre Abgeordneten und Minister mit Ihrer Problemanalyse und erwarten Sie von den Politikern, dass sie Handlungsfähigkeit zeigen. Die versuchen es doch. Aber was ihnen zurzeit schwer gelingt, ist Planungssicherheit herzustellen. Ja, wie auch? Wissen wir denn, wie viele Flüchtlinge übermorgen zu uns kommen? Wir wissen es nicht. Und darum brauchen unsere politischen Akteure neben unserer Fähigkeit zur Kritik, neben unseren Anregungen, auch ein gewisses Maß an Verständnis. Ich gehe mal davon aus, meine Damen und Herren, dass die wenigsten von Ihnen es besser machen könnten als Ihre Ministerpräsidentin und die Bundeskanzlerin. Es mag ja sein, dass sich der eine oder andere hier befindet, der fest davon überzeugt ist. Ich nehme dann einen Zettel und schreibe mir Ihre Namen auf. Ja? // Also es gibt Gründe, das haben wir vom Bürgermeister gehört. Es gibt Gründe, dass wir manchmal die Regierung fragen: "Ja, wieso so und nicht anders? Ich habe viel bessere Ideen". Wunderbar wenn es so ist. Und wunderbar, wenn Sie aus der Mitte der Gesellschaft, aus dem Kreis der Engagierten, dieser positiven Netzwerke heraus diese Frage stellen. Das ist eine lebendige, offene Gesellschaft, die solche Debatten nicht fürchtet. Wir haben es nicht nötig, uns vor dem, was uns als ungeklärtes Problem noch vor den Füßen liegt, weg zu laufen. Menschen, die sich bewährt haben, indem sie Solidarität als eine Lebensform der Gesellschaft entwickelt haben, die laufen nicht einfach weg wegen diffuser Ängste. Ein gutes Beispiel ist dieser Bürgermeister oder viele andere Aktive. Wir können ihm gut zuhören, wenn er die Regierung kritisiert, weil wir an ihm genau merken, er steht nicht irgendwo im Abseits und meckert nur an den gesellschaftlichen Verhältnissen herum. Sondern er beteiligt sich intensiv, bringt seine Gaben ein, und dann hat er jedes Recht der Welt, mit all denen, die über ihm sind, auch kritisch zu sprechen und ihnen kritische Fragen zu stellen. // Jetzt haben wir uns, denke ich, miteinander verständigt. Ja, ich spüre das. Ich weiß, ich habe vorhin schon ein paar Leute getroffen, so eine kleine Blütenlese hier aus Ihrer Gesellschaft. Und ich habe gespürt, ich bin in einem Stück Europa, von dem ich einmal geträumt habe. Ich bin unter Menschen, die sich selber anschauen, und sich fragen: Was kann ich eigentlich tun, um diesen Raum, in dem ich lebe, zu einem lebenswerten und schönen zu machen, zu einem gastfreundlichen? Und ich will die Gelegenheit nutzen, ein herzliches, bürgerschaftliches wie präsidiales Dankeschön zu sagen: all den Lehrerinnen und Lehrern, den Pfarrern und Pfarrerinnen in den Kirchgemeinden, in Diakonien. All den Menschen, die sich sorgen um unser Miteinander, die es gestalten, auch den Menschen, die jungen Leuten in den Sportvereinen beibringen, was Fairness ist und was Regeln sind, all denen, die in irgendeiner Weise aktiv sind. Es ist gut, dass ich Sie erlebe, es ist gut, dass ich dieses Land so erlebe. Und weil ich Sie so erlebe, weiß ich, dass die Probleme, die mit Sicherheit auf uns zukommen, und angesichts derer wir auch mit Sicherheit noch nicht alle Lösungswege wissen, dass diese Probleme uns nicht überwältigen werden. Wir sind die, die sich verpflichtet haben zu stehen und nicht zu fliehen. Und wir haben das Gefühl, genauso soll unser Leben sein. So möchten wir es, auch wenn wir an einen fremden Ort kämen: dass es dort Menschen geben möge, die diese Gesinnung haben. // Indem ich mich vorhin bedankt habe bei den unterschiedlichsten Menschen, bin ich auch bei denen gelandet, die uns - etwa in den Kirchen und in den Schulen - etwas vom Sinn unseres Lebens beigebracht haben. Denken wir daran, das ist eine geprägte Kulturlandschaft. Und zu unserer Kultur gehören nicht nur die Einrichtungen des Wissens, unsere Universitäten, der Kultur, unsere Theater und Museen, gehören auch nicht nur unsere wunderbaren Produktionsstätten, sondern es gehört eine Kultur der Mitmenschlichkeit dazu, die achtsam ist und am anderen nicht vorbei geht, wenn er ohnmächtig und geschlagen am Straßenrand liegt. Viele von uns haben in der Kindheit das Gleichnis vom barmherzigen Samariter gehört. Und sie haben begriffen, dass Barmherzigkeit eine Form des Miteinanders ist. Barmherzigkeit heißt in der Sprache der Politik: Solidarität. Beides hat miteinander zu tun. Und die Gesellschaften der Solidarität sind erwachsener - auf dem Boden eines solchen tiefen menschlichen Wissens, dass Zuwendung und Zueinandergehören der Kern dessen sind, was uns miteinander verbindet. // So kommt eine lange kulturelle, religiöse und politische Tradition zusammen. Und all das hat dazu geführt, dass Sie leben, wie Sie hier leben: als Verbundene und nicht jeder als ein Wolf für den Anderen. Als miteinander Verbundene im Streit und in der Solidarität, in der Gestaltung und in der Geduld. Und so soll es bleiben. Und wenn es so bleibt, dann komme ich wieder und bin wieder dankbar und stolz, dass ich unter Ihnen sein kann.
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Joachim Gauck
Manche von Ihnen sind nicht zum ersten Mal hier. Ihnen allen aber sagt Ihr Land heute auf besondere Weise "Dankeschön". Sie erhalten das Silberne Lorbeerblatt, sie erhalten das, was andere Menschen in Form des Bundesverdienstkreuzes für ihre Verdienste erhalten. Das Silberne Lorbeerblatt ist die höchste staatliche Auszeichnung, die wir für unsere Sportler haben. Und viele von Ihnen haben es schon einmal erhalten: nämlich für den dritten Platz bei einer Weltmeisterschaft - das war schon weit mehr als ein Achtungserfolg. // Jetzt aber sind Sie Weltmeister und Sie sind hier, und wir alle freuen uns darüber. Fußballweltmeister - das ist in allen Ländern, die fußballbegeistert sind, das Allergrößte. Kein Mannschaftstitel zählt mehr als dieser, so populär andere Sportarten auch sein mögen. In den fußballbegeisterten Ländern ist es einfach so: Fußballweltmeister zu werden und zu sein, das ist noch einmal etwas ganz Besonderes, das ist nicht zu toppen. Das kann natürlich in unserem Land überhaupt nicht anders sein. // Dass Spieler, Trainer, Betreuer, der Verband Weltmeister geworden sind, das ist ja nur die halbe Wahrheit, die kleinere Hälfte der Wahrheit sogar. Was ist die ganze? Die ganze Wahrheit ist doch, dass wir uns in Deutschland gefühlt haben, als wären wir alle Weltmeister. Das kann man nun gut oder schlecht finden: Manche wünschen sich, die Gelehrsamkeit oder die besondere Fähigkeit, andere Künste auszuüben, möge dieses allumfassende Wir-Gefühl erzeugen. Aber das erleben wir gerade im Fußball. Darum ist Fußball auch, in diesem Land jedenfalls, immer etwas mehr als nur Sport - eine Gesellschaft lebt auch davon, dass in ihr tatsächlich Wir-Gefühle existieren. Und so eigentümlich es klingt, kann man manchmal, ohne dass man an das Große und Ganze einer Gesellschaft denkt, doch tatsächlich für dieses Große und Ganze der Gesellschaft etwas tun. Das meine ich, wenn ich diese Fähigkeit rühme, ein Wir-Gefühl hier in unserem Land zu erzeugen. // Dies mit dem Wir-Gefühl hat eine lange Geschichte, jedenfalls wenn man älter ist als unsere Helden hier. Ich war 14 Jahre alt, als Deutschland zum ersten Mal Weltmeister wurde, es war in Ihrem Land, Herr Blatter, in der Schweiz - wir Älteren werden das nie vergessen und die Jüngeren kennen das inzwischen auch. 1954 Weltmeister zu werden, das war schon ein großartiges Gefühl. Auch wenn Deutschland getrennt war damals - trotzdem sage ich Deutschland, weil 1954 auch die Menschen in Ostdeutschland sagten,"wir sind Weltmeister geworden". Wir waren damals für jene, die für Deutschland Fußball spielten, und das waren Westdeutsche. Das durfte man im Osten nicht so laut sagen, obwohl es doch von 1956 an eine gesamtdeutsche Olympiamannschaft gab. // So kam es, dass in all den Jahren, in denen in Deutschland kaum oder nur ganz, ganz vorsichtig von der "Nation" gesprochen wurde, ganz selbstverständlich von der "Nationalmannschaft" die Rede war. Im Fußball war die Erinnerung daran, eine Nation zu sein, immer wach geblieben. // Wenn man so will, markieren die Weltmeistertitel der deutschen Nationalmannschaften auch den Weg unseres Landes nach dem Krieg: 1954 wurde allgemein als Chance für Deutschland empfunden, sich internationale Anerkennung zu erwerben, und dass die Deutschen einen Weg entdeckten, auf friedliche und fröhliche Weise ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln. // 1974 entsprach der erfolgsorientierte, vielleicht weniger elegante als pragmatische Fußball, mit dem im Finale Holland geschlagen wurde, der innen- und außenpolitischen Ausrichtung unseres Landes. Übrigens haben damals bei diesem berühmten Turnier bei weitem nicht alle in der DDR den Sieg in der Vorrunde über die Bundesrepublik bejubelt. Denn auch 1974 waren wir im Osten wie selbstverständlich mit Weltmeister geworden, denn - trotz eigener Mannschaft bei der WM und trotz einer eigenen Oberliga - gab es immer so etwas wie "Fußballdeutschland", ein Zusammengehörigkeitsgefühl über die Grenzen hinweg. // Dann 1990: Das war in jeder Hinsicht ein denkwürdiges Jahr. Die Weltmeisterschaft kam genau in dem Moment zwischen der Friedlichen Revolution und dem Vollzug der Deutschen Einheit im Oktober. Was für ein Jahr! Die ganze Welt schaute seit Monaten auf Deutschland und auf das, was sich atemberaubendes bei uns tat. Und der Weltmeistertitel, der letzte, den die alte Bundesrepublik alleine errang, passte genau dazu. // Und nun 2014. Was für ein souveräner Titelgewinn, was für eine überzeugende Leistung, die neidlos auch von allen anderen Gegnern anerkannt wird. Was für eine starke, was für eine sympathische, sportlich und menschlich rundum begeisternde Mannschaft. Zum ersten Mal ist das wiedervereinigte Deutschland Weltmeister geworden: In diesem Jahr feiern wir ein Vierteljahrhundert Friedliche Revolution und im nächsten Jahr ein Vierteljahrhundert Deutsche Einheit - also wieder ein Weltmeistertitel, der einen für unser Land wichtigen Zeitabschnitt markiert. // Wo stehen wir heute? 2014 ist ein Land Weltmeister geworden, das schon seit einiger Zeit zu einem entspannten, zu einem aufgeklärten Patriotismus gefunden hat, sichtbar spätestens seit dem Sommermärchen von 2006. Deswegen dürfen wir uns darüber freuen, dass uns niemand den Titel neidet, und die Welt konnte sich ehrlich mit uns freuen. Das ist vielleicht die schönste Erfahrung mit diesem vierten Weltmeistertitel. Für mich ist dieser vierte Stern ein besonderer. Nicht nur, weil ich mit Ihnen zusammen, Frau Bundeskanzlerin, dabei sein konnte. Aus diesen genannten Gründen leuchtet dieser Stern für mich besonders. Wir haben uns eben erinnern lassen, wie groß die Freude und Begeisterung in unserem Lande war, ohne dass sich überhebliche und falsche Töne in den Vordergrund spielen konnten. Diesmal haben wir mit friedlicher Freude den Titel und Sie, die Mannschaft, gefeiert. // Apropos Mannschaft: Wenn ein Wort in eine andere Sprache übernommen wird, ohne dass man es übersetzt, dann deswegen, weil sich in diesem Wort etwas ganz Besonderes und ganz Eigenes ausdrückt, das man gar nicht richtig übersetzen kann. Und eine solche Übernahme drückt dann oft großen Respekt und tiefe Achtung aus. Darum darf ich Sie und alle im DFB, die für das Auftreten und den Erfolg verantwortlich sind, ruhig mit etwas Dankbarkeit anreden und Ihnen sagen: Sie dürfen auch ein bisschen stolz darauf sein, dass man auf französisch jetzt das deutsche Team einfach "La Mannschaft" nennt und auf englisch "The Mannschaft". // Hier drückt sich Respekt aus vor einer Spielweise, Respekt vor einem Gemeinschaftsgeist und dazu vor einer fein ausgeklügelten Balance zwischen individuellen Stärken und dem Team. Diese in Brasilien unbezwingbare Kombination hat dann zum verdienten Titel geführt. Mit Fußball, der oft meistens begeisternd war, der Freude und Spaß ausgelöst hat und der meilenweit davon entfernt war von einer verbissenen Erfolg-um-jeden-Preis-Mentalität, die meist nur freudlose und verkrampfte und dann auch oft sieglose Spiele bringt. // Wir wissen: Dieser Erfolg kam nicht über Nacht. Er hatte viele Väter. Da ist die seit Jahren verbesserte Jugendarbeit in den Vereinen zu nennen, die konsequente und auch entschiedene und entschlossene individuelle Nachwuchsförderung. Verband und Vereine wissen sich in gemeinsamer Verantwortung - und zwar nicht nur für den Erfolg, sondern auch für die ganze Entwicklung des jungen Menschen. Zu danken haben wir sicher also auch den vielen Jugendtrainern, die überall im Land aktiv sind, die Talente fördern und Talente entdecken. // Was die Mannschaft nun auch schon eine ganze Weile ausmacht, das ist die ganz selbstverständliche Spiegelung der Einwanderungsgesellschaft, die wir längst geworden sind. Was in den Jahren zuvor schon festgestellt werden konnte, das wird nun mit dem Weltmeistertitel erst recht klar: Der Fußball und gerade diese Mannschaft können zeigen, wie die Einheit der Verschiedenen gelingen kann und zu welchen Erfolgen sie dann fähig ist. Wir gehören zusammen und wir gewinnen zusammen - das ist die große Botschaft dieser Mannschaft. // Die Ausschreitungen von Hooligans in den vergangenen Wochen haben gezeigt, dass der Sport einigen Menschen als Feigenblatt für rohe Gewalt dient, manchmal auch für Fanatismus und Hass. Aber unser Sport, nicht nur der Fußball, sondern generell der Sport, kann auch ein Gegenmittel sein und kann eine Atmosphäre fördern, in der Toleranz und Offenheit vorgelebt werden - und zwar von Spielern wie auch von Fans. Deshalb danke ich allen hier im Saal, die sich unermüdlich gegen Rechtsextremismus und Gewaltorgien stark machen. Und vor allem bitte ich die, die das tun, und Sie alle: Setzen Sie dieses Engagement fort! // Liebe Fußballer, wenn Sie mir diese familiäre Anrede erlauben, die Welt schaut auf das, was Sie auf und auch neben dem Platz leisten. Mit dem Titelgewinn 2014 haben Sie sich, Ihren Freunden und Fans, und dem ganzen Land ein bleibendes Geschenk gemacht. Dem großen Buch des Fußballs mit seinen legendären Helden und Mannschaften haben sie ein besonders schönes schwarz-rot-goldenes Schmuckblatt hinzugefügt. // So, wie damals das Team um Fritz Walter und Helmut Rahn 1954 ebenso Geschichte geschrieben hat wie das Team von Franz Beckenbauer und Gerd Müller 1974 und das Team um Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann 1990, gehören auch Sie jetzt in diese ruhmvolle Reihe. // Alle, die die Spiele verfolgt haben, werden sich noch lange an vieles erinnern. An einzelne Szenen, an den Turniersieg, an glückliche Momente, an traurige oder lachende Gesichter, an große Emotionen. Und vielen von uns, die das erlebt haben, werden einige dieser Szenen für immer im Gedächtnis bleiben. Ich freue mich, dass Sie alle hier sind. Und ich freue mich auch nochmal, dass ich persönlich dabei sein durfte, damals in Rio, und die unvergesslichen Augenblicke so hautnah miterleben konnte. Es war und ist schon immer etwas ganz Besonderes, als Bundespräsident Weltmeister zu werden. // Jetzt haben wir genug davon gesprochen, dass wir alle und das Land und somit auch die Bundeskanzlerin, der Bundesinnenminister und der Bundespräsident Weltmeister geworden sind. Indem ich Ihnen, und nicht dem ganzen Land jetzt das Silberne Lorbeerblatt überreiche, wird noch einmal deutlich, wem eigentlich die Ehre gebührt, wer durch seine Leistung zu unser aller Freude Weltmeister geworden ist: Sie sind es, die Mannschaft von 2014, der wir hier und heute noch einmal feierlich, ernsthaft und fröhlich "Danke" sagen: Danke!