Zitate von Mag. Wolfgang Sobotka

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Bundespräsident, Herr Bundeskanzler, Vizekanzler, Regierungsmitglieder, sehr geehrte Vertreter des offiziellen Österreichs, des geistlichen Österreichs, sehr geehrte Vertreter der Zivilgesellschaft, insbesondere herzlich begrüßt auch unsere Altösterreicherinnen und -österreicher, die aus Israel zu uns gekommen sind, werte Künstlerinnen und Künstler, Musikerinnen und Musiker der Wiener Philharmoniker unter dem Maestro Adam Fischer und werte Zuseher und Zuseherinnen zu Hause an den Fernsehgeräten.

Der 12. November ist für uns ein Freudentag. Das war 1918 so und das ist auch in diesem Jahr nach hundert Jahren so.

Im Staccato der Bedenk-, Gedenk- und besonderen Feiern bedarf es auch eines Innehaltens. Diese Freude im Jahre 1918, worin bestand sie? Die Visionen, der Mut, die Kraft und auch die Entschlussfreudigkeit, die Republik aus der Taufe zu heben, das sollte uns zur Freude Anlass geben. Es war unglaublich, in welcher Geschwindigkeit, versetzen wir uns in die Lage, ob das heute in gleichem Maße möglich wäre, von den Tagen des Oktobers bis zum 12. November die Republik aus der Taufe gehoben zu haben und damit auch klar signalisiert zu haben, es ist eine Wende, es hat sich die Demokratie Bahn gebrochen, die Gesellschaft hat sich verändert.

Und heute? Mit welcher Breite und mit welcher Fülle, mit welcher Tiefe gedenken wir auch der Gründung dieser Republik? Wie viele Menschen bringen sich ein und sie ist wirklich im wahrsten Sinne des Wortes eine "res publica" geworden? Wie viele Medien haben Sonderbeilagen produziert, beschäftigen sich auch seit Tagen mit diesen Ereignissen und ihre Auswirkungen in diesen letzten hundert Jahren aber vor allem mit der Perspektive der Zukunft? Wie viele Bücher sind erschienen? Wie viele Ausstellungen wurden eingerichtet von unserem Parlament, vom Haus der Geschichte Österreichs, von den Ländern? Alle haben hier große Zuschauermengen dazu bewegt, sich mit der Geschichte Österreichs auseinanderzusetzen. Wie viele Projekte sind in Schulen und in Schulgemeinschaften entstanden? Und wie viele Persönlichkeiten haben dazu aus Kunst, Wissenschaft, aus der Zivilgesellschaft Stellung genommen?

Viele gehen der Frage nach, was ist eigentlich das, was Österreich ausmacht? Was ist das typisch Österreichische? Das hängt vom Standpunkt ab. Von jenen, die mit Österreich im Reinen sind, die glücklich sind. Von Österreichern, die sich Österreich ausgesucht haben auf der Landkarte. Auch von jenen, die mit Österreich hadern. Die, die sich mit Österreich versöhnt haben. Die, die Österreich den Rücken gekehrt haben und die, die Österreich verändern wollen.

Zweifellos gibt es aber eine große Klammer über all das. Die meisten Menschen leben gerne in unserem Land. Sie schätzen die Lebensqualität, die Umwelt, die Sicherheit in umfänglichem Sinne. Sie haben zu Fleiß und Leistungsbereitschaft eine positive Einstellung. Der Selbstwert und vor allem die Identität haben sich in diesen letzten Jahren enorm entwickelt und verortet sind sie in ihrem Lebensumfeld. Sie können Heimat wieder bewusst ohne Konnex aussprechen. Und sie bemühen sich, weltoffen zu sein. Manches wird symbolisch überhöht aber die Hilfsbereitschaft, die Spendenbereitschaft, das gemeinsame Engagieren in solchen Vereinen, die Kommunikation vom Wirtshaus bis hin zu den öffentlichen Plätzen - das ist das, was Österreich ausmacht. Sie fühlen sich einer Kulturnation zugehörig - freilich aus den unterschiedlichsten Aspekten und Blickrichtungen. Sie fühlen sich als Sportnation, als Skination - meistens nur aus der Blickwinkelperspektive des Fernsehers.

Von Karl Kraus über Erwin Ringel und bis zu Thomas Bernhard haben viele dem Österreichischen, dem typisch Österreichischen, nachgespürt. Konrad Paul Liessmann hat das in der Samstag-Presse beeindruckend getan. Ich zitiere: "Für mich äußert sich das Österreichische in Gustav Mahlers Musik. Da ist alles drinnen, er war ein Österreicher in Böhmen geboren, ein Jude, der konvertierte, um Staatsoperndirektor in Wien zu werden. Seine Musik ist traurig, sie ist fröhlich, sie kennt Kuhglocken und Trauermärsche, Peitschenhiebe und Harfenklänge - sie kennt den Ton des Volksliedes und ist doch fernab jedes Nationalismus, österreichische Weltmusik."

Der 12. November 1918 markiert zweifellos einen Beginn einer Selbstfindung einer eigenständigen Nation. Es ist ein Prozess mit vielen Brüchen und Rückschlägen, der Unglück und Leid gekostet hat. Es ist diesem heute schon vielfach bildlich und auch wörtlich Respekt gezollt worden. Aber mehr noch mit Erfolgen, mit freudvollen Erfahrungen und positiven Alltagserlebnissen, die insbesondere nach einem Auslandsaufenthalt vielen bewusst werden.

Dazu gehören unsere Bedenk-, Gedenkjahre und die besonderen Daten in unserer Geschichte des mahnenden, erinnernden Gedenkens - des 4. Märzes oder des 15., des 5. und des 8. Mais und vor allem des 9. Novembers.

Es gehört aber auch das feiernde Erinnern dazu - des 27. Aprils, des 15. Mais, des 26. Oktobers, ja des 1. Jänners, aber vor allem auch dieser 12. November. Was war er eigentlich? Er war Abschluss und Anfang zugleich: Abschluss einer Entwicklung aus der Monarchie. Gerade in den letzten Tagen noch dynamisiert durch die Ausrufung der Republik in Deutschland am 9. November und die Veröffentlichung der Niederlegung der Regierungsgeschäfte durch Kaiser Karl und die Proklamation des Staatsrates.

Die Leute erwarteten am 12. November des Jahres 1918 etwas Besonderes und daher strömten sie organisiert und unorganisiert auf die öffentlichen Plätze, vor allem vor das Parlament. Die letzte Reichsratssitzung begann um 11 Uhr 20 und der Reichsrat verzichtete auf weitere Tätigkeiten. Eine Geschäftsauflösung der Monarchie. Danach Pause. Man wechselte bekenntnisreich den Saal, die dritte Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung wurde vom Präsident Dinghofer im Herrenhaus eröffnet. Nach einem Nachruf auf Viktor Adler ging es zur Tagesordnung, Renner referierte die Beschlüsse des Staatsrates, ohne Vorberatung einstimmiger Beschluss des Staatsgrundgesetzes. Um 15 Uhr 45, nach einer knappen halben Stunde, die Ausrufung der Republik.

Zehn Minuten später ging Präsident Dinghofer auf die Rampe bei trübem Herbstwetter, leichtes Nieseln. Er skizzierte die Beschlüsse. Die Regie schien etwas aus dem Ruder zu laufen. Tumult, Chaos, Seitz Rede und Renners Rede gehen in dem Getöse ohne den Mikrofonen unter, man geht zurück ins Haus, Schüsse, es ist keine Räterepublik daraus geworden, auch wenn die roten Fahnen vor dem Parlament wehten.

Am 14. November übernehmen die Länder die Staatsgewalten und am 4. Dezember werden provisorisch die Gemeinden eingerichtet. Der erste Akt ist geschlossen.

Auch wenn die ausgerufene demokratische Republik nicht alle hundert Jahre durchhielt, gescheitert sind letztlich, wie es der deutsche Bundespräsident Steinmeier in seiner Rede am 9. November im Bundestag bezeichnete, gescheitert sind "Die Feinde der Demokratie". Jene, die die Parlamente ausgeschaltet haben, die sie als Quatschbuden herabwürdigten. Jene, die der Diktatur das Wort redeten und ihr, ihre Hände liehen. Jene, die die Verbrechen des Nationalsozialismus, der rassistischen Verfolgung und des Holocausts zu verantworten hatten.

Die Feinde der Demokratie sind gescheitert. Welche Erkenntnisse dürfen wir heute daraus ziehen? Der Lehrmeister Geschichte findet nicht nur keine Schüler, wie das Ingeborg Bachmann anmerkte, die Geschichte wiederholt sich auch nicht, wie Beispiele zeigen.

Mit der Kriegserfahrung des 19. Jahrhunderts ging die Armee in den Ersten Weltkrieg und dachte, in wenigen Monaten wieder in ihre Kasernen zurückzukehren. Das traurige Ergebnis kennen wir. Die Erste Republik, die politischen Interessen wurden im Parlament ausgetragen, unterstützt von den paramilitärischen Verbänden auf der Straße. Die Zweite Republik? Die politischen Interessen wurden wieder im Parlament ausgetragen aber sie wurden unterstützt von einem demokratischen Diskurs, von Interessensvertretungen, von Landeshauptleuten, von der Landeshauptleutekonferenz und von einer Demokratisierung der gesamten Gesellschaft.

Damit gelang der Zweiten Republik, die Demokratie nachhaltig zu stärken und zu festigen. Und trotzdem bleiben unterschiedliche Interessen, Meinungen und Haltungen. Trotzdem geht es um die Durchsetzung der Ansprüche und die Steuerung der Prozesse. Da das demokratische Prinzip die gesamte Gesellschaft durchdrungen hat, starke Wurzeln in unseren Familien, in unseren Schulen, in unseren Vereinen geschlagen hat, habe ich heute keine Sorge um die Kraft dieser Demokratie.

Und trotzdem, trotzdem braucht es eine klare Haltung gegen Rassismus. Trotzdem darf es keinen Generalverdacht gegen religiöse Gemeinschaften geben. Sie schaffen nur Vorurteile und verhindern Differenzierungen. Trotzdem darf es keine Tolerierung von Parallelgesellschaften geben, die unsere staatlichen Werte und Grundordnungen ablehnen. Und trotzdem braucht es eine Politik der Nulltoleranz gegenüber Antisemitismus und Antizionismus. Dieser Kampf ist auch kein Privileg einer gesellschaftlichen Gruppe. Es geht uns alle an. Es ist die Verantwortung vor unserer Geschichte. Und trotzdem braucht es ein klares Auftreten gegen die Sprache des Hasses - überall, ins Besondere im Internet, muss er mit allen Mitteln des Rechtsstaates bekämpft werden.

Und an diesem Beispiel sehen wir, wo die Demokratie in der Zukunft gefordert ist. Im faust'schen Sinne sind wir gefordert, des Pudels Kern zu finden - in den Folgen der Digitalisierung, den Folgen des demographischen Wandels und in Folgen des Wandels unseres Klimas. Hier sehe ich die Themenfelder, für die unsere Demokratie ein ganz besonderes Auge haben muss, die Demokratie auf die Probe stellt und diese verändern wird. Aber im Gedenken an den Mut und an die Zuversicht der Gründerväter unserer Republik, im Vertrauen auf die unumkehrbare Verwurzelung unserer demokratischen Verfasstheit sehe ich mit Optimismus in die Zukunft. Auf die nächsten hundert Jahre, ad multos annos. Es lebe unsere demokratische Republik! (Staatsakt "100 Jahre Republik Österreich" am 12. 11. 2018 in der Wiener Staatsoper).

Informationen über Mag. Wolfgang Sobotka

Pädagoge, Dirigent, Politiker, Bürgermeister von Waidhofen/Ybbs, Politiker, vom 1.2.2009 - 20.4.2016 NÖ LH-Stv., vom 21.4.2016 - 18.12.2017 Bundesminister für Inneres, ab 20.12.2017 Erster Präsident des österreichischen Nationalrates (Österreich, 1956).


Mag. Wolfgang Sobotka · Geburtsdatum

Mag. Wolfgang Sobotka ist heute 68 Jahre, 3 Monate, 21 Tage oder 24.949 Tage jung.

Geboren am 05.01.1956 in Waidhofen an der Ybbs
Sternzeichen: ♑ Steinbock


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