Zitate von Joachim Gauck
Ein bekanntes Zitat von Joachim Gauck:
Wie sollte man eine Rede an der Universität, die Johann Wolfgang von Goethe im Namen führt, anders beginnen, als mit dem wohl berühmtesten Seufzer der deutschen Literaturgeschichte: "Habe nun ach! Philosophie, / Juristerei und Medizin / Und leider auch Theologie / Durchaus studiert mit heißem Bemüh'n." // Zugegeben, ein ziemlich überraschungsfreier Start in diese Rede. Und wahrscheinlich hätte ich mir das "ach!" verkniffen, wenn nicht vor kurzem in einem Blog der Brief einer Hochschulabsolventin an ihre Universität zu lesen gewesen wäre, der den Monolog des Faust mehr als 200 Jahre später gewissermaßen in unsere Gegenwart übersetzt: // Ich zitiere: "Liebe Uni, ich habe Dich mir anders vorgestellt, jahrelang hatte ich von dir geträumt. Von Diskussionen, von Austausch, von dem Gefühl der Freiheit
. Ich hatte mir vorgestellt, wie wir an der Universität wilde Debatten führen. Keynes! Marx! Weber! Liebe Uni, ich dachte Du wärst ein Ort zum Streiten [
] Diese Leidenschaftslosigkeit war unerträglich
" // Nun, es gab natürlich eine Menge leidenschaftlicher Antworten auf diesen vehementen Klagebrief, dem eigentlich nur noch die Faustische Beschwerde fehlte: "Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor". Viele stimmten der Autorin zu, viele widersprachen aber auch und berichteten von guten Erfahrungen mit ihrer Universität, ihrem Studium und ihren Professoren. // Ich hatte an dieser Stelle das Gefühl, wonach sehnt sich wohl diese Schreiberin? - hoffentlich nicht etwa nach den wilden Zeiten von 1970, als eine der merkwürdigen Seiten dieser Universität geschrieben wurde. Auf Vorschlag von Jürgen Habermas sollte der Adorno-Lehrstuhl neu besetzt werden, und man kam auf einen der wohl bedeutendsten Marxismus-Forscher der Zeit, auf Leszek Kolakowski. Aber Kolakowski war gerade von seiner kommunistischen Führung in Polen gemaßregelt worden. Nun passierte das Merkwürdige: An dieser schönen freien Universität gab es linke, linksextreme und marxistische Mehrheiten, die ihn wegen fehlender marxistischer Linientreue abwiesen. Der arme Mann musste dann in die akademische Wüste nach Oxford. Soviel zum Zeitgeist. // Die Universität und ihr Zustand, sie lassen die Gemüter nicht kalt. Und das ist gut so. Denn wenn es um die Bildung kommender Generationen geht, steht immer die Zukunft einer ganzen Gesellschaft auf dem Spiel. Deshalb sollen Universitäten blühen und gedeihen, und zwar zuallererst im Interesse der Studierenden. Hier in Frankfurt sind es 46.000, die durch bestmögliche universitäre Bildung entscheidende Chancen für einen gelingenden Lebensweg erhalten, die aber auch als gut gebildete und gut ausgebildete Absolventen Leistungen erbringen sollen, die dann für die ganze Gesellschaft wertvoll sind. Umgekehrt gilt übrigens das Gleiche: Wenn es um die Zukunft der Universität geht, steht immer auch die Frage zur Debatte, was eine Gesellschaft von ihren Hochschulen erwartet und was sie deshalb bereit ist, für ihre Hochschulen zu tun. Aber dazu kommen wir später. Nur Gutes! // Die Frankfurter Universität, zu deren 100. Geburtstag ich heute von ganzem Herzen gratuliere, sie scheint mir ein gutes Beispiel zu sein, um dieses Wechselspiel zwischen einer Gesellschaft und ihren Hochschulen ein wenig näher zu beleuchten. Diese Universität ist nämlich aus verschiedenen Gründen herausragend: einer davon ist, das wissen wir fast alle oder alle hier im Raum, ihre Entstehungsgeschichte, die sich von anderen Universitäten nun doch deutlich unterscheidet. Zur Gründung der älteren Universitäten in Deutschland führte meist der Wille eines Landesherrn, den Ruhm seines Fürstentums und manchmal auch seinen eigenen zu mehren und die Wirtschaftskraft des Territoriums zu stärken - letzteres durchaus ehrenwerte Motive. // Zur Gründung der Universität Frankfurt vor 100 Jahren aber führte nicht Fürsten-, sondern Bürgerwille. Frankfurts Bürger, zumindest hinreichend viele, waren der Überzeugung, dass höhere Bildung das Beste ist, was einem Menschen überhaupt passieren kann. Als"Bildungsbürger" ein rundum positiver Begriff war, "Bürger" im vollsten und eigentlichen Sinne nur der gebildete Bürger war, da begriff man in Frankfurt, dass die Gründung einer Universität so etwas wie eine selbstverständliche Bürgerpflicht war. Mit Recht sind deshalb die Frankfurter Universität und mit ihr die Stadt Frankfurt stolz darauf, dass diese Hochschule eine Bürgeruniversität ist. // Eine Bürgeruniversität lebt vom Engagement. Das war und ist hier in Frankfurt in reichem Maße zu finden, weil man weiß, was eine Universität, eine sehr gute und sehr gut ausgestattete Universität einer Stadt und einer Gesellschaft geben kann, in geistiger wie auch in materieller Hinsicht. Zum einen hilft Bildung, die Welt zu verstehen und zu deuten, und damit auch, in der Gemeinschaft freier Bürger miteinander zu leben. Zum anderen aber bietet sie auch schlicht handfeste Vorteile. // Machen wir uns nichts vor: Wissenschaftliche Bildung wurde schon vor 100 Jahren auch als ein Wirtschaftsfaktor verstanden. Und das war auch richtig so, das müssen wir nicht bekritteln. Darüber hinaus war aber auch die Vorstellung lebendig, dass Bildung durch Wissenschaft der Schlüssel zur Entfaltung der Persönlichkeit sei, zum selbständigen Denken, zum Gebrauch des eigenen Verstandes und damit zur Emanzipation, zur Befreiung von alten Autoritäten und von den Zwängen der Natur. // Bildung und Emanzipation, oder anders ausgedrückt, vielleicht umfassender: Bildung und Freiheit gehörten und gehören zusammen. Deshalb finde ich es schön, dass wir heute dieses Gründungsjubiläum hier an dieser Stätte, hier in der Paulskirche feiern, einem der vornehmsten Orte der deutschen Demokratie- und Freiheitsbewegung. // Die Geschichte der Universitäten, die Geschichte auch der Frankfurter Universität, ist ein Teil der europäischen Freiheitsgeschichte und ein Teil der europäischen Wahrheitsgeschichte. // Wahrheit und Freiheit sind Geschwister. So wie Forschung und Lehre Freiheit brauchen, um sich zu entfalten und ungehindert nach Wahrheit zu suchen und zu streben, so ist die politische Freiheit darauf angewiesen, dass die Wahrheit zugelassen, dass um sie gerungen und dass sie unzensiert öffentlich gemacht werden kann. Dass die Wahrheit frei macht, das gilt auch für die Bildung, die uns - gemäß dem berühmten Wort von Immanuel Kant - dazu frei macht, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen, ohne die Anleitung eines anderen. // So sind, seit ihrer Erfindung im Mittelalter, Universitäten urbane Orte der Emanzipation. Einer der ersten, die man als Professor fast im modernen Sinne ansprechen kann, ist der Theologe und Philosoph Petrus Abälard. Er entwickelte am Anfang des 12. Jahrhunderts an der jungen Pariser Universität eine wissenschaftliche Methode, die bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren hat. // "Sic et non" heißt seine bedeutendste Schrift. Darin wird die Methode der kritischen, wissenschaftlichen Befragung aller Autoritäten erstmals systematisch begründet und durchgeführt. Abälard listet in 158 Abschnitten Widersprüche in den Texten der Kirchenväter auf, die zuvor einfach unhinterfragte und unhinterfragbare Autoritäten waren. Und er zeigt, dass alleine die vernunftgeleitete Interpretation zur Wahrheit führt. Zitat: "Indem wir nämlich zweifeln, gelangen wir zur Untersuchung und durch diese erfassen wir die Wahrheit." // Freiheit von Vorurteilen, kritische Befragung aller Autoritäten, genaue Analyse und Interpretation der Quellen, Vernunft als oberste Instanz: Das ist sozusagen die erste "kritische Theorie" des Abendlandes, und sie bleibt wesensbestimmend für jegliche wissenschaftliche Arbeit, überall bis heute. Dass sie keineswegs leicht durchzusetzen war, zeigt nicht nur, aber auch die Geschichte Abälards, die von Kämpfen, Verurteilungen, Verbannungen geprägt ist. So wird es immer sein: Emanzipation und die Befreiung von Autoritäten, sie werden nie als Geschenk verteilt. Sie müssen immer erkämpft werden. // Die Kontinuität akademischen Denkens, wie es unsere Hochschulen geprägt hat, ist vor allem eine Kontinuität des kritischen Bewusstseins. Was in Paris mit "Sic et non" beginnt, das führt über die großen "Kritiken" des Königsbergers bis zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule. // Wir wissen allerdings auch und wir dürfen das auch heute an einem solchen Festtag nicht verschweigen, dass die Universität nicht automatisch und nicht immer die aufgeklärte Stimme der Vernunft gewesen ist. Nicht immer hat der Geist die wichtigste Rolle gespielt und nicht immer die interesselose Suche nach der Wahrheit. Auch der Ungeist, ja, die bewusste Lüge, Rassismus, Antisemitismus sind in Universitäten in Deutschland zu Hause gewesen. Intellektualität, wir wissen es leider, ist noch kein wirksamer Schutz gegen Barbarei. Das ist eine der bitteren Lehren aus den Erfahrungen des Dritten Reiches. Auch die Frankfurter Universität hat sich in diesen finsteren Jahren sehr schnell und sehr gründlich von ihren jüdischen Lehrenden und Lernenden getrennt. "Säuberung" nannte man das damals. Dabei verdankte sie doch ihre Gründung zu einem guten Teil dem jüdischen Bürgertum dieser Stadt. Und ein großer Teil des akademischen Glanzes speiste sich aus den Leistungen der Juden, die hier lehrten. // Aus allen deutschen Städten übrigens verschwanden mit den Juden doch Säulen der Gesellschaft: Philanthropie, kultureller Glanz, wissenschaftliche Exzellenz, auch ein aufgeklärter Patriotismus, Verluste ohne Gleichen. Und dazu die Gejagten und all die getöteten Menschen. Im Bewusstsein dieser Verluste und des verzögernden Erkennens und des Benennens der Schuld, die zu diesen Verlusten führte, hatte nun die Gesellschaft eine große Aufgabe nach dem Krieg. Und hier in Frankfurt hat die Frankfurter Universität nach dem Dritten Reich und nach dem Krieg versucht, an ihre glanzvollen Zeiten anzuknüpfen. Ich stelle mir das äußerst schwierig vor, in diesen Zeiten, in denen äußere und innere Zerstörung das Land prägte. Aber es gelang. Einige Gelehrte sind sogar aus dem Exil zurückgekehrt, um beim geistigen Aufbau eines besseren Deutschlands von Frankfurt aus mitzuhelfen. Jeder kennt noch die Namen von Adorno und Horkheimer, die die Kritische Theorie der Frankfurter Schule entwickelten, die fast zur Überschrift für eine geistige Grundhaltung, ja, für eine wichtige Phase in der Geschichte der jungen Bundesrepublik wurde. All das war eng mit Frankfurt verbunden. // Die Geschichte der Frankfurter Bürgeruniversität ist eine Erfolgsgeschichte. Aber auf Erfolgen kann man sich nicht ausruhen. Jede Zeit stellt die Universitäten vor neue Herausforderungen, aber auch vor neue Chancen. // Die ungeheure Steigerung der Studierendenzahlen seit den 1960er Jahren, damit auch die steigende Zahl von Dozenten und Professoren, all das hat einen anderen Typ von Universität geschaffen, als man sie noch bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts kannte. // Das ist ein beispielloser bildungspolitischer Sprung: Wo früher eine akademische Laufbahn nur einer schmalen Elite eines Jahrgangs vergönnt war, sind es heute mehr als ein Drittel. Der Anteil der jungen Menschen eines Jahrgangs, die ein Studium aufnehmen, stieg seit Anfang der 1950er Jahre von etwa fünf auf etwa fünfzig Prozent. Ich weiß um die damit verbundenen Probleme, die gelegentlich auch zu besprechen sind. Das will ich aber an dieser Stelle nicht tun. Diese Steigerung hat den Charakter der Hochschulen grundlegend verändert, und sie musste natürlich auch gestaltet und sie musste finanziert werden. Um die Frage der Hochschulfinanzierung wird bis heute gerungen. Viele Dozenten und Professoren klagen, dass sie sich angesichts der Fülle der Aufgaben vom Kern ihrer Profession, von Forschung und Lehre, entfernen, ja, manchmal entfernen müssen. Es galt und gilt also, eine neue Balance zu finden zwischen Forschung und Lehre, zwischen Spitze und Breite. // Eine Herausforderung, die die Gründer der Frankfurter Universität vor 100 Jahren ebenfalls noch nicht in dieser Deutlichkeit vor Augen hatten, war der Beitrag, den Bildung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zum sozialen Aufstieg jeder und jedes Einzelnen leisten kann und soll. Jetzt fällt mein Blick auf unsere Gesellschaft, wie sie sich heute darstellt. Wir leben heute in einer Einwanderungsgesellschaft. Mehr als ein Drittel der in Deutschland lebenden unter Fünfjährigen verfügt über einen Migrationshintergrund. Das gesamte Bildungssystem muss - sollte ich sagen: müsste - sich dieser Aufgabe stellen. Es gibt inzwischen viele Initiativen, die diese Herausforderung angenommen haben. Gleich zu Beginn meiner Amtszeit stand ich hier an derselben Stelle, um die Teilnehmer der Start-Stipendien-Initiative zu begrüßen und zu beglückwünschen. Eine große deutsche Stiftung hat der Tatsache Rechnung getragen, dass wir eine besondere Förderung dieser Gruppe von Auszubildenden brauchen, die - mit einem Migrationshintergrund ausgestattet - nicht dieselben Startmöglichkeiten haben wie Kinder aus dem deutschen Bildungsbürgertum. Wir müssen verstehen, dieser Realität von Einwanderung gerecht zu werden, sie als praktische Aufgabe zu sehen. Und ich bin dankbar für die Initiativen und die Personen, die sich hier auf diesem Feld engagieren, Hilfe in der Sprachförderung oder durch kulturelle Beiträge. Im Sport haben wir inzwischen gelernt, dass jedes Talent Förderung verdient und dass diese Förderung alle bereichert. Die gleiche Einsicht wünsche ich mir auch in der Bildung und in der Wissenschaft: von der Kita über die Schule bis zur Universität. An jeder dieser Stationen können wir noch viel mehr tun, um allen jungen Menschen in diesem Land ein gelingendes Leben zu ermöglichen. // Nach meinem Verständnis kann und muss die Universität eine aktive Rolle bei der Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft spielen, vielleicht sogar eine aktivere Rolle als gegenwärtig schon üblich. Ausländische Studierende und junge Menschen mit Migrationsgeschichte brauchen Hilfe. In manchen Fällen ist finanzielle Unterstützung notwendig, etwa durch spezielle Stipendienprogramme. Am wichtigsten aber sind Vorbilder und Ermutigung, und zwar schon lange vor der Immatrikulation. Es darf nicht sein, dass die Herkunft eines Menschen - sei es die soziale oder die ethnisch-kulturelle - darüber entscheidet, welche Zukunft dieser Mensch hat! Der Schlüssel, um solche Herkunftsbarrieren zu überwinden, der heißt Bildung. Die Geschichte von Bildung als Emanzipation, sie geht also weiter. Und sie muss weitergehen. // Ist die alte "Bürgeruniversität" auch diesen neuen Herausforderungen gewachsen? Hier in Frankfurt haben Sie eine klare Antwort auf diese Frage gefunden. Sie haben das Prinzip der Bürgeruniversität neu für sich entdeckt, Sie haben sich ganz bewusst zu Ihren Wurzeln bekannt. Denn seit 2008 ist die Goethe-Universität wieder Stiftungsuniversität. Das Modell soll dazu dienen, Hochschulen und Bürgergesellschaft stärker zu verbinden. Es eröffnet großherzigen und weitblickenden Stiftern und Förderern die Möglichkeit, Verantwortung für die Universität zu übernehmen. Der Umbau zur Stiftungshochschule stärkt die Eigenverantwortung der Institution. Die Stiftungshochschule kann zugleich ein Wir-Gefühl und eine Identität entwickeln, die Lehrende und Lernende verbindet und eine starke Verbindung zum gesellschaftlichen Umfeld herstellt. // Es zeigt sich immer wieder: Bildung und wissenschaftliche Spitzenleistung brauchen so eine förderliche Umgebung. In Frankfurt gibt es dieses bildungsfreundliche Umfeld. Kooperation und Austausch sind damit wesentliche Erfolgsfaktoren dieser Universität, die sich nie als Elfenbeinturm, sondern immer als bürgerschaftliches Forum begriffen hat. Auch dazu kann man heute wahrlich gratulieren. // Eines will ich aber an dieser Stelle auch deutlich sagen: Das Lob der Förderer und der Stifter und der Ruf nach weiterem bürgerschaftlichen Engagement für gute Bildung darf keineswegs dazu führen, dass der Staat sich aus seiner Verantwortung im Bildungswesen zurückzieht. Stifter sind keine Ausfallbürgen in Zeiten knapper Kassen - sie schaffen einen Mehrwert. // Es ist darüber hinaus richtig und wichtig, an neue Mittel und Wege zu denken, um Kräfte zu bündeln. So überlegen richtigerweise Bund und Länder seit der vergangenen Legislaturperiode, wie sie den Bildungsföderalismus fortentwickeln können, um den gestiegenen Anforderungen Rechnung zu tragen. Das wird am Ende allen nutzen: den Studierenden, die attraktive Studienbedingungen vorfinden, den Hochschulen, die ihre Stärken weiter ausbauen können, und unserem Land als Wissenschaftsnation. // Die Konzentration der Kräfte ist auch deshalb wichtig, weil gute Hochschulen heute in einem weltweiten Wettbewerb stehen. In diesem Wettbewerb wird der Frankfurter Universität ihre Besonderheit als Bürgeruniversität, aber auch die öffentliche Unterstützung, zugute kommen. // Europa, so hat neulich der indische Autor Pankaj Mishra geschrieben, habe seine Leuchtkraft verloren. Es habe früher mit seiner kulturellen und intellektuellen Kraft Vertrauen in die Allgemeingültigkeit seiner Erfahrungen und Lösungen erzeugt. Und dieses Vertrauen sei nun heute verlorengegangen. // Ich teile bei weitem nicht alles, was dieser Autor ausführt. Eines aber, was er sagt, halte ich doch für so wichtig, um es hier vorzutragen: Europa, so schreibt er, müsse die eigene kritische und kosmopolitische Tradition wiederbeleben, es brauche Offenheit, Widerspruch und kein homogenes Weltbild. // Wozu uns ein indischer Autor hiermit aufruft, ist doch nichts weiter als die alte und ewig junge Beschreibung von Aufgabe und Wesen der europäischen Universität, die in ihren guten Zeiten immer weltoffen war und die immer bereit war, auch fremde Erfahrungen aufzunehmen. Gehen wir also ans Werk. Gehen wir daran, diese, unsere europäische Universität wieder so lebendig werden zu lassen, dass es intellektuell gleichermaßen Herausforderung und Freude ist, an ihr zu lehren und zu lernen. // Enden wir, wie wir begonnen haben, mit Goethe: Als er im Alter von 16 Jahren daran ging, ein Studium aufzunehmen, gab es diese Frankfurter Universität noch nicht. So ging er nach Leipzig. Von dort schrieb er am 13. Oktober 1765 an seinen Vater: // "Sie können nicht glauben, was es eine schöne Sache um einen Professor ist. Ich bin ganz entzückt gewesen, da ich einige von diesen Leuten in ihrer Herrlichkeit sah!" Das waren noch Zeiten: Professoren in ihrer Herrlichkeit! Das ist irgendwie endgültig passé. Aber könnte es nicht möglich sein, die Universität als Ganzes, als Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, von Stiftern, Förderern und Bildungspolitikern zu einer neuen Herrlichkeit zu führen? Ich wüsste nicht, was ich dieser Goethe-Universität zu Frankfurt am heutigen Tage besseres wünschen könnte.
Informationen über Joachim Gauck
11. Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland vom 18.3.2012 - 19.3.2017, Theologe, evangelisch-lutherischer Pastor, Bürgerrechtler, Volkskammerabgeordneter für "Bündnis 90", Bundesbeauftragter für die STASI-Unterlagen der Ex-DDR (Deutschland, 1940).
Joachim Gauck · Geburtsdatum
Joachim Gauck ist heute 84 Jahre, 8 Monate, 19 Tage oder 30.944 Tage jung.
Geboren am 24.01.1940 in Rostock
Sternzeichen: ♒ Wassermann
Unbekannt
Weitere 48 Zitate von Joachim Gauck
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Guten Abend aus dem Schloss Bellevue. Ich wünsche Ihnen allen, wo immer Sie jetzt zuschauen, ein frohes Weihnachtsfest! // In diesen festlichen Tagen beschenken wir uns gegenseitig. Durch gute Wünsche und Besuche zeigen wir: Wir gehören zusammen - als Familie, als Freunde, als Nachbarn. Wir brauchen diese Bindungen. Denn Glück und Erfüllung erfahren wir, wenn wir anderen zukommen lassen, was wir selber für uns erhoffen: Aufmerksamkeit, Nähe und Zuwendung. // Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wir stehen am Ende eines Jahres, das uns viel Grund zur Freude bietet: Deutschland hat mehr Arbeit als je zuvor, es ist im Ausland beliebt wie nie, und Fußball-Weltmeister sind wir auch. // Zugleich aber blicken wir zurück auf ein Jahr voller Friedlosigkeit, auf Kriege, Bürgerkriege, Terror und Mord, sogar unter Berufung auf die Religion. Fast täglich hören wir von getöteten Menschen. Das Elend der unzähligen Heimatlosen und Vertriebenen steht uns vor Augen. // Wenn wir dann die weihnachtliche Botschaft hören: "Friede auf Erden!", so klingt sie in diesem Jahr besonders dringlich. Denn wir spüren: Kein Friede ist selbstverständlich. Jeder Frieden, ja, auch der, den wir bei uns glücklich und in Freiheit erleben, ist kostbar. // Unser Land ist heute ein Land des Friedens. Deshalb: Wo wir dazu beitragen können, dass Frieden erhalten oder gestiftet, dass Leid gelindert und eine bessere Zukunft gebaut werden kann, sollten wir alles tun, was in unserer Macht steht. Unsere Kultur, unsere Demokratie steht gegen Unfrieden, Hass und todbringende Gewalt. // Eine menschliche Gesellschaft braucht die tägliche Achtung voreinander und das tägliche Achtgeben aufeinander. Nur so schafft sie ein friedvolles Miteinander. Dieses Gebot kennen auch alle Religionen, es verbindet und verpflichtet uns alle. // Ein deutliches Zeichen für die Menschlichkeit in unserer Gesellschaft sehe ich darin, dass es mittlerweile so viel Bereitschaft gibt, Flüchtlinge aufzunehmen. Vor wenigen Tagen erst habe ich einen Verein in Magdeburg besucht, der sich um minderjährige Flüchtlinge kümmert, die ohne Familie in Deutschland gestrandet sind. Dass wir mitfühlend reagieren auf die Not um uns herum, dass die Allermeisten von uns nicht denen folgen, die Deutschland abschotten wollen, das ist für mich eine wahrhaft ermutigende Erfahrung dieses Jahres. // Ermutigung: Das ist die zweite weihnachtliche Botschaft. Auch sie erklang einst auf den Feldern von Bethlehem und sie lautet: "Fürchtet euch nicht!" Der Gott, der der Welt in der Gestalt eines kleinen Kindes erschienen ist, will jede Furcht von uns nehmen. // "Fürchtet euch nicht!": Das möchte ich in diesem Jahr allen zurufen, die sich durch die Entwicklung in der Welt beunruhigt fühlen, die besorgt sind, dass wir auf etliche Fragen noch keine Antworten kennen. // Ängste ernst zu nehmen, heißt nicht, ihnen zu folgen. Mit angstgeweiteten Augen werden wir Lösungswege nur schwer erkennen, wir werden eher klein und mutlos. Die Botschaft "Fürchtet euch nicht!" dürfen wir auch als Aufforderung verstehen, unseren Werten, unseren Kräften und übrigens auch unserer Demokratie zu vertrauen. Und wir haben es doch schon erfahren: Wer sich den Herausforderungen stellt, findet auch Lösungen. Gerade jetzt, 25 Jahre nach der Friedlichen Revolution, erinnern wir daran, dass sich die Verhältnisse zum Besseren wenden lassen. // Wir wissen: Ängste werden uns immer begleiten. Aber wir wissen auch: Das zu leben, was wir das Humane nennen, ist tatsächlich unsere große Menschenmöglichkeit. // Dies erfahren wir immer wieder. Ich denke an die vielen, die sich auch heute in der Nachbarschaft, im Krankenhaus oder im Heim um Mitmenschen kümmern. Ich denke auch an Menschen, die in den Ebola-Gebieten Afrikas tätig sind. An die vielen Entwicklungshelferinnen, an Soldaten, an Ärztinnen - an alle, die aus dieser Welt und aus unserem Land einen besseren Ort machen. // Wir alle können einen Beitrag leisten, damit der Wärmestrom lebendig bleibt, ohne den die Welt kalt und friedlos wäre: Indem wir uns engagieren, wenn unsere Mitmenschen Hilfe brauchen. Indem wir Bedrohten Frieden und Verfolgten Schutz bieten. // Dazu kann uns die weihnachtliche Botschaft Mut zusprechen. // In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein fröhliches, gesegnetes Weihnachtsfest.
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Herr Präsident des Deutschen Bundestages! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger aus dem In- und Ausland! // Zunächst Ihnen, Herr Präsident, meinen allerherzlichen Dank für die unnachahmliche Führung dieser Sitzung und für das leuchtende Beispiel in unser Land hinein, dass Politik Freude machen kann. Herr Bundesratspräsident, Sie haben Worte gefunden, die bei mir und sicher auch bei Herrn Bundespräsidenten Wulff ein tiefes und nachhaltiges Echo hinterlassen haben. Ich danke Ihnen. // Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wie soll es denn nun aussehen, dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel einmal sagen sollen "unser Land"? Geht die Vereinzelung in diesem Land weiter? Geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auf? Verschlingt uns die Globalisierung? Werden Menschen sich als Verlierer fühlen, wenn sie an den Rand der Gesellschaft geraten? Schaffen ethnische oder religiöse Minderheiten in gewollter oder beklagter Isolation Gegenkulturen? Hat die europäische Idee Bestand? Droht im Nahen Osten ein neuer Krieg? Kann ein verbrecherischer Fanatismus in Deutschland wie in anderen Teilen der Welt weiter friedliche Menschen bedrohen, einschüchtern und ermorden? // Jeder Tag, jede Begegnung mit den Medien bringt eine Fülle neuer Ängste und Sorgen hervor. Manche ersinnen dann Fluchtwege, misstrauen der Zukunft, fürchten die Gegenwart. Viele fragen sich: Was ist das eigentlich für ein Leben, was ist das für eine Freiheit? Mein Lebensthema "Freiheit" ist dann für sie keine Verheißung, kein Versprechen, sondern nur Verunsicherung. Ich verstehe diese Reaktion, doch ich will ihr keinen Vorschub leisten. Ängste - so habe ich es gelernt in einem langen Leben - vermindern unseren Mut wie unser Selbstvertrauen, und manchmal so entscheidend, dass wir beides ganz und gar verlieren können, bis wir gar Feigheit für Tugend halten und Flucht für eine legitime Haltung im politischen Raum. // Stattdessen - da ich das nicht will - will ich meine Erinnerung als Kraft und Kraftquelle nutzen, mich und uns zu lehren und zu motivieren. Ich wünsche mir also eine lebendige Erinnerung auch an das, was in unserem Land nach all den Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur und nach den Gräueln des Krieges gelungen ist. In Deutschlands Westen trug es, dieses Gelungene, als Erstes den Namen "Wirtschaftswunder". Deutschland kam wieder auf die Beine. Die Vertriebenen, gar die Ausgebombten erhielten Wohnraum. Nach Jahren der Entbehrung nahm der Durchschnittsbürger teil am wachsenden Wohlstand, freilich nicht jeder im selben Maße. // Allerdings sind für mich die Autos, die Kühlschränke und all der neue Glanz einer neuen Prosperität nicht das Wunderbare jenes Jahrzehnts. Ich empfinde mein Land vor allem als ein Land des "Demokratiewunders". Anders als es die Alliierten damals nach dem Kriege fürchteten, wurde der Revanchismus im Nachkriegsdeutschland nie mehrheitsfähig. Es gab schon ein Nachwirken nationalsozialistischer Gedanken, aber daraus wurde keine wirklich gestaltende Kraft. Es entstand stattdessen eine stabile demokratische Ordnung. Deutschland West wurde Teil der freien westlichen Welt. // Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte in dieser Zeit blieb allerdings defizitär. Die Verdrängung eigener Schuld, die fehlende Empathie mit den Opfern des Naziregimes prägten den damaligen Zeitgeist. Erst die 68er-Generation hat das nachhaltig geändert. Damals war meine Generation konfrontiert mit dem tiefschwarzen Loch der deutschen Geschichte, als die Generation unserer Eltern sich mit Hybris, Mord und Krieg gegen unsere Nachbarn im Inneren wie im Äußeren vergingen. Es war und blieb das Verdienst dieser Generation, der 68er: Es war ein mühsam errungener Segen, sich neu, anders und tiefer erinnern zu können. Trotz aller Irrwege, die sich mit dem Aufbegehren der 68er auch verbunden haben, hat sie die historische Schuld ins kollektive Bewusstsein gerückt. // Diese auf Fakten basierende und an Werten orientierte Aufarbeitung der Vergangenheit wurde nicht nur richtungsweisend für uns nach 1989 in Ostdeutschland. Sie wird auch als beispielhaft von vielen Gesellschaften empfunden, die ein totalitäres oder despotisches Joch abgeschüttelt haben und nicht wissen, wie sie mit der Last der Vergangenheit umgehen sollen. // Das entschlossene Ja der Westdeutschen zu Europa ist ein weiteres kostbares Gut der deutschen Nachkriegsgeschichte, ein Erinnerungsgut, das uns wichtig bleiben sollte. Konrad Adenauer, Kanzler des Landes, das eben noch geprägt und dann ruiniert war vom Nationalismus, wird zu einem der Gründungsväter einer zukunftsgerichteten europäischen Integration. Dankbarkeit und Freude! // So wie später - 1989 - dieser nächste Schatz in unserem Erinnerungsgut. Da waren die Ostdeutschen zu einer friedlichen Revolution imstande, zu einer friedlichen Freiheitsrevolution. Wir wurden das Volk, und wir wurden ein Volk. Und nie vergessen: Vor dem Fall der Mauer mussten sich die vielen ermächtigen. Erst wenn die Menschen aufstehen und sagen: "Wir sind das Volk", werden sie sagen können: "Wir sind ein Volk", werden die Mauern fallen. // Damals wurde auf ganz unblutige Weise auch der jahrzehntelange Ost-West-Gegensatz aus den Zeiten des Kalten Krieges gelöscht, und die aus ihr erwachsende Kriegsgefahr wurde besiegt und beseitigt. // Der Sinn dessen, dass ich so spreche, ist, dass ich nicht nur über die Schattenseiten, über Schuld und Versagen sprechen möchte. Auch jener Teil unserer Geschichte darf nicht vergessen sein, der die Neugründung einer politischen Kultur der Freiheit, die gelebte Verantwortung, die Friedensfähigkeit und die Solidarität unseres Volkes umfasst. Das ist kein Paradigmenwechsel in der Erinnerungskultur. Das ist eine Paradigmenergänzung. Sie soll uns ermutigen: Das, was mehrfach in der Vergangenheit gelungen ist, all die Herausforderungen der Zeit anzunehmen und sie nach besten Kräften - wenn auch nicht gleich ideal - zu lösen, das ist eine große Ermutigung auch für uns in der Zukunft. // Wie soll es nun also aussehen, dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel "unser Land" sagen? Es soll "unser Land" sein, weil "unser Land" soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschancen verbindet. Der Weg dazu ist nicht der einer paternalistischen Fürsorgepolitik, sondern der eines Sozialstaates, der vorsorgt und ermächtigt. Wir dürfen nicht dulden, dass Kinder ihre Talente nicht entfalten können, weil keine Chancengleichheit existiert. Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen den Eindruck haben, Leistung lohne sich für sie nicht mehr und der Aufstieg sei ihnen selbst dann verwehrt, wenn sie sich nach Kräften bemühen. Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen den Eindruck haben, sie seien nicht Teil unserer Gesellschaft, weil sie arm oder alt oder behindert sind. // Freiheit ist eine notwendige Bedingung von Gerechtigkeit. Denn was Gerechtigkeit - auch soziale Gerechtigkeit - bedeutet und was wir tun müssen, um ihr näherzukommen, lässt sich nicht paternalistisch anordnen, sondern nur in intensiver demokratischer Diskussion und Debatte klären. Umgekehrt ist das Bemühen um Gerechtigkeit unerlässlich für die Bewahrung der Freiheit. Wenn die Zahl der Menschen wächst, die den Eindruck haben, ihr Staat meine es mit dem Bekenntnis zu einer gerechten Ordnung in der Gesellschaft nicht ernst, sinkt das Vertrauen in die Demokratie. "Unser Land" muss also ein Land sein, das beides verbindet: Freiheit als Bedingung für Gerechtigkeit - und Gerechtigkeit als Bedingung dafür, Freiheit und Selbstverwirklichung erlebbar zu machen. // In "unserem Land" sollen auch alle zu Hause sein können, die hier leben. Wir leben inzwischen in einem Staat, in dem neben die ganz selbstverständliche deutschsprachige und christliche Tradition Religionen wie der Islam getreten sind, auch andere Sprachen, andere Traditionen und Kulturen, in einem Staat, der sich immer weniger durch nationale Zugehörigkeit seiner Bürger definieren lässt, sondern durch ihre Zugehörigkeit zu einer politischen und ethischen Wertegemeinschaft, in dem nicht ausschließlich die über lange Zeit entstandene Schicksalsgemeinschaft das Gemeinwesen bestimmt, sondern zunehmend das Streben der Unterschiedlichen nach dem Gemeinsamen: diesem unseren Staat in Europa. // Und wir finden dieses Gemeinsame in diesem unseren Staat in Europa, in dem wir in Freiheit, Frieden und in Solidarität miteinander leben wollen. // Wir wären allerdings schlecht beraten, wenn wir aus Ignoranz oder falsch verstandener Korrektheit vor realen Problemen die Augen verschließen würden. Hierauf hat bereits Bundespräsident Johannes Rau in seiner Berliner Rede vor zwölf Jahren eindrücklich und deutlich hingewiesen. Aber in Fragen des Zusammenlebens dürfen wir uns eben nicht letztlich von Ängsten, Ressentiments und negativen Projektionen leiten lassen. Für eine einladende, offene Gesellschaft hat Bundespräsident Christian Wulff in seiner Amtszeit nachhaltige Impulse gegeben. Herr Bundespräsident Wulff, dieses - Ihr - Anliegen wird auch mir beständig am Herzen liegen. // Unsere Verfassung, meine Damen und Herren, spricht allen Menschen dieselbe Würde zu, ungeachtet dessen, woher sie kommen, woran sie glauben oder welche Sprache sie sprechen. Sie tut dies nicht als Belohnung für gelungene Integration, sie versagt dies aber auch nicht als Sanktion für verweigerte Integration. Unsere Verfassung wie unser Menschsein tragen uns auf, im Anderen geschwisterlich uns selbst zu sehen: begabt und berechtigt zur Teilhabe wie wir. // Der Philosoph Hans-Georg Gadamer war der Ansicht, nach den Erschütterungen der Geschichte erwarte speziell uns in Europa eine "wahre Schule" des Miteinanders auf engstem Raum. "Mit dem Anderen leben, als der Andere des Anderen leben." Darin sah er die ethische und politische Aufgabe Europas. Dieses Ja zu Europa gilt es nun ebenfalls zu bewahren. Gerade in Krisenzeiten ist die Neigung, sich auf die Ebene des Nationalstaats zu flüchten, besonders ausgeprägt. Das europäische Miteinander ist aber ohne den Lebensatem der Solidarität nicht gestaltbar. // Gerade in der Krise heißt es deshalb: Wir wollen mehr Europa wagen. // Mit Freude sehe ich auch, dass die Mehrheit der Deutschen diesem europäischen Gedanken wieder und weiter Zukunft gibt. // Europa war für meine Generation Verheißung - aufbauend auf abendländischen Traditionen, dem antiken Erbe einer gemeinsamen Rechtsordnung, dem christlichen und jüdischen Erbe. Für meine Enkel ist Europa längst aktuelle Lebenswirklichkeit mit grenzüberschreitender Freiheit und den Chancen und Sorgen einer offenen Gesellschaft. Nicht nur für meine Enkel ist diese Lebenswirklichkeit ein wunderbarer Gewinn. // Wie kann es noch aussehen, dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel "unser Land" sagen sollen? Nicht nur bei uns, sondern auch in Europa und darüber hinaus ist die repräsentative Demokratie das einzig geeignete System, Gruppeninteressen und Gemeinwohlinteressen auszugleichen. // Das Besondere dieses Systems ist nicht seine Vollkommenheit, sondern dass es sich um ein lernfähiges System handelt. // Neben den Parteien und anderen demokratischen Institutionen existiert aber eine zweite Stütze unserer Demokratie: die aktive Bürgergesellschaft. Bürgerinitiativen, Ad-hoc-Bewegungen, auch Teile der digitalen Netzgemeinde ergänzen mit ihrem Engagement, aber auch mit ihrem Protest die parlamentarische Demokratie und gleichen Mängel aus. Und: Anders als die Demokratie von Weimar verfügt unser Land über genügend Demokraten, die dem Ungeist von Fanatikern, Terroristen und Mordgesellen wehren. Sie alle bezeugen - aus unterschiedlichen politischen oder religiösen Gründen: Wir lassen uns unsere Demokratie nicht wegnehmen, wir stehen zu diesem Land. // Wir stehen zu diesem Land, nicht weil es so vollkommen ist, sondern weil wir nie zuvor ein besseres gesehen haben. // Speziell zu den rechtsextremen Verächtern unserer Demokratie sagen wir mit aller Deutlichkeit: Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. // Wir schenken Euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben. // Die Extremisten anderer politischer Richtungen werden unserer Entschlossenheit in gleicher Weise begegnen. Und auch denjenigen, die unter dem Deckmantel der Religion Fanatismus und Terror ins Land tragen und die hinter die europäische Aufklärung zurückfallen, werden wir Einhalt gebieten. Ihnen sagen wir: Die Völker ziehen in die Richtung der Freiheit. Ihr werdet den Zug vielleicht behindern, aber endgültig aufhalten könnt ihr ihn nicht. // Mir macht allerdings auch die Distanz vieler Bürgerinnen und Bürger zu den demokratischen Institutionen Angst: die geringe Wahlbeteiligung, auch die Geringschätzung oder gar Verachtung von politischem Engagement, von Politik und Politikern. "Was?", so hören wir es oft im privaten Raum, "Du gehst zur Sitzung eines Ortsvereins?" "Wie bitte, Du bist aktiv in einer Gewerkschaft?" Manche finden das dann "uncool". Ich frage mich manchmal: Wo wäre eigentlich unsere Gesellschaft ohne derlei Aktivitäten? // Wir alle haben nichts von dieser Distanz zwischen Regierenden und Regierten. Meine Bitte an beide, an Regierende wie Regierte, ist: Findet Euch nicht ab mit dieser zunehmenden Distanz. // Für die politisch Handelnden heißt das: Redet offen und klar, dann kann verloren gegangenes Vertrauen wiedergewonnen werden. // Den Regierten, unseren Bürgern, muten wir zu: Ihr seid nicht nur Konsumenten. Ihr seid Bürger, das heißt Gestalter, Mitgestalter. Wem Teilhabe möglich ist und wer ohne Not auf sie verzichtet, der vergibt eine der schönsten und größten Möglichkeiten des menschlichen Daseins: Verantwortung zu leben. // Zum Schluss erlaube ich mir, Sie alle um ein Geschenk zu bitten: um Vertrauen. Zuletzt bitte ich Sie um Vertrauen in meine Person. Davor aber bitte ich Sie um Vertrauen zu denen, die in unserem Land Verantwortung tragen, wie ich diese um Vertrauen zu all den Bewohnern dieses wiedervereinigten und erwachsen gewordenen Landes bitte. Und davor wiederum bitte ich Sie alle, mutig und immer wieder damit zu beginnen, Vertrauen in sich selbst zu setzen. Nach einem Wort Gandhis kann nur ein Mensch mit Selbstvertrauen Fortschritte machen und Erfolge haben. Dies gilt für einen Menschen wie für ein Land, so Gandhi. // Ob wir den Kindern und Enkeln dieses Landes Geld oder Gut vererben werden, das wissen wir nicht. Aber dass es möglich ist, nicht den Ängsten zu folgen, sondern den Mut zu wählen, davon haben wir nicht nur geträumt, sondern das haben wir gelebt und gezeigt. Gott und den Menschen sei Dank: Dieses Erbe dürfen sie erwarten.
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Herzlich willkommen Ihnen allen! Sie, verehrte Frau Springer, sind schon einmal aus feierlichem Anlass hierher ins Schloss Bellevue gekommen: 2008 - zur Verleihung des Großen Verdienstkreuzes mit Stern. Heute - 2012 - könnte man beim Namen Springer gleich an mehrere große Gründe denken. 100 Jahre Axel Springer habe ich im Mai bei einer Revue der ganz besonderen Art erleben dürfen. Die Bild-Zeitung feierte außerdem ihren Sechzigsten. Aber was für uns hier am allerwichtigsten ist: Auch Sie, verehrte Frau Springer, hatten im August einen runden Geburtstag. Es sind diese - Ihre - Jahrzehnte, die wir mit dem heutigen Ehrenessen würdigen wollen. // Ich erinnere mich noch: Als Ihre Biografie erschien, hat die ZEIT getitelt: "Die Märchenprinzessin" - auf den ersten Blick eine sehr schöne, auf den zweiten Blick auch eine sehr sprechende Überschrift. Denn wir alle wissen, dass Prinzessinnen nicht nur gesegnet sind mit guten Eigenschaften und mit der Aussicht auf großes Glück, sondern dass ihnen das Schicksal oft harte Prüfungen auferlegt. Ein großmächtiges Medienimperium kann reich, aber auch reich an Sorgen sein. Die Öffentlichkeit hat sehr genau beobachtet, wie Sie nach dem Tod Ihres Mannes das eigene Dasein und das Ihres Unternehmens in die Hand genommen haben. Ihr Mut und Ihre Durchsetzungskraft haben vielen Menschen Respekt abverlangt. Als bei den großen Springer-Feiern in diesem Jahr die beiden Namen Axel und Friede so oft in einem Atemzug genannt wurden, schwang große Anerkennung mit. Es ging um weit mehr als ein märchenhaftes Paar. Es ging um ein Paar, das buchstäblich deutsche Geschichte geschrieben hat - bzw. hat schreiben lassen. // An dieser Stelle könnte ich jetzt über die Verantwortung der Medien als Multiplikatoren und "Macher" von Zeitgeschichte, auch Macher von Meinungen referieren. Ich könnte - wie Henryk M. Broder neulich - der Versuchung nachgeben und eine Laudatio auf Friede Springer mit einem umfassenden Exkurs zur aktuellen politischen Agenda verbinden. Oder ich könnte, wie es so oft geschieht, ein einzelnes Leben in seinen Höhen und Tiefen stellvertretend für ein großes gesellschaftliches Thema betrachten. // Doch damit würde ich der Idee der Ehrenessen in Bellevue nicht gerecht werden. Sie sind nämlich einer besonderen Persönlichkeit und ihren Gästen gewidmet. Deshalb spreche ich nur so lange, wie es unser Koch mit seinem Menüplan vereinbaren kann. Und ich spreche nicht über die Produkte des Springer-Konzerns, die mitunter heftig umstritten sind - das ist Teil unserer demokratischen Meinungsvielfalt -, sondern über eine Frau und ihre unbestreitbaren Verdienste im Leben. Ich bleibe also bei dem Menschen, um den es uns heute geht: Friede Springer. // Man lobt und schätzt Sie in diesem Jubiläumsjahr immer wieder als erfolgreiche Unternehmerin. Ich möchte vor allem Anerkennung für Ihr Wirken als Stifterin und in Ihren vielen Ehrenämtern ergänzen. Sie haben zum Beispiel den Einsatz Ihres Mannes für die deutsch-israelische Verständigung auf eine Weise fortgesetzt, die Ihnen schon mit dem Leo-Baeck-Preis und jüngst mit der Mendelssohn-Medaille gedankt wurde. Sie fördern Wissenschaft, Forschung und Kultur, besonders gern junge Talente auf ihrem Weg. Drei Springer-Stiftungen und ungezählte Kuratorien, Vereine und Initiativen dürfen mit Ihrer Unterstützung rechnen. Sie sind großzügig, wann immer Ihr guter Name oder eine gute Summe der guten Sache dienen können. // Was mich besonders beeindruckt: Wenn Sie zu diesem Engagement befragt werden, stellen sie es fast als Selbstverständlichkeit dar, als eine Verpflichtung, Selbstverpflichtung, die ein großes, erfolgreiches Unternehmen in unserer Gesellschaft wahrnimmt. Diese Haltung ist noch wertvoller als jeder Euro. Wir brauchen beides: Den Staat, der im Sinne unseres Grundgesetzes ein "demokratischer und sozialer Bundesstaat" sein soll und soziale Entfaltung jedes Bürgers sichert. Und wir brauchen den Spielraum für privates, soziales Engagement. Wie mühsam es ist, sich solchen Spielraum - mental wie finanziell - zurückzuerobern, wenn er einmal verloren ging, sehen wir in Ostdeutschland. Deshalb bedeutet es mir viel, Sie - verehrte Frau Springer - heute als Vorbild für viele in unserer Mitte begrüßen zu dürfen. Mäzenatentum und Unternehmergeist sind kein Widerspruch, sie können eine segensreiche Symbiose bilden. Danke dafür! // In meinen Unterlagen habe ich entdeckt: Für Ihre Herz-Stiftung haben Sie als Motto ein Zitat von Tolstoi gewählt. "Im Herzen eines Menschen ruht der Anfang und das Ende aller Dinge." Meine Rede ist jetzt am Ende, aber anstoßen möchte ich mit Ihnen auf den Anfang, am liebsten im Plural. Erheben wir das Glas auf Friede Springer und viele gelungene Neuanfänge!
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Heute Morgen ist Bundespräsident Richard von Weizsäcker gestorben. Deutschland trauert. // Unser Land verliert mit ihm einen großartigen Menschen und ein herausragendes Staatsoberhaupt. Richard von Weizsäcker hat das Amt des Bundespräsidenten auf bleibende Weise geprägt. // Mit seinen großen Gaben und mit seiner Glaubwürdigkeit vertrat er die Bundesrepublik Deutschland überzeugend nach Außen. Er verkörperte weltweit ein Deutschland, das seinen Weg in die Mitte der demokratischen Völkerfamilie gefunden hat. // Richard von Weizsäcker war geprägt von der christlichen und aufklärerischen Tradition Europas. Er hatte das Dunkel der Diktatur erlebt. So stand er auch für eine Bundesrepublik, die sich ihrer Vergangenheit stellt. Richard von Weizsäcker hat dem Ansehen Deutschlands in der Welt einen bleibenden Dienst erwiesen. // Nach Innen gelang es ihm, dem überzeugten Demokraten, vielen Bürgern die demokratischen Institutionen näherzubringen. Mit Reden, Handeln und mit seiner Ausstrahlung verkörperte er glaubhaft eine lebendige, demokratische Bürgergesellschaft. // Auch den Menschen in der DDR gab er zu Zeiten der Teilung Orientierung und Motivation, für Demokratie und Rechtsstaat einzutreten. Als erster Bundespräsident des vereinten Deutschland hat er auch einen unschätzbaren Beitrag zum Zusammenwachsen der Bürgerinnen und Bürger aus Ost und West geleistet. // Richard von Weizsäcker hat gesagt: "Wenn Freiheit das Geheimnis der Demokratie ist, dann ist es eine Freiheit zur Beteiligung und zur Mitverantwortung." // Diese Maxime hat vielen Menschen und auch mir vielfach Orientierung gegeben, und ich empfinde sie als Vermächtnis für uns alle. Richard von Weizsäcker hat sich um Deutschland verdient gemacht. Mit vielen Menschen in unserem Land und in vielen anderen Ländern der Welt trauere ich um unseren früheren Bundespräsidenten. // In großer Dankbarkeit verneige ich mich vor einem großen Deutschen.
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Heute vor 75 Jahren begann hier auf der Westerplatte der Zweite Weltkrieg. Während des Krieges standen mehr als 110 Millionen Menschen unter Waffen, fast 60 Millionen kamen um. Mehr als 60 Staaten waren in diesen Krieg verwickelt, in einem Waffengang, der erst nach sechs Jahren endete und mit dem Völkermord an den Juden eine bis dahin unbekannte Grausamkeit und Menschenverachtung erreichte. // Die Menschen hier in Polen haben entsetzlich gelitten unter diesem Krieg, der ihnen vom Deutschen Reich aufgezwungen worden war. Denn nach der militärischen Niederlage im Oktober 1939 setzte sich die Gewalt als Terror gegen die Zivilbevölkerung fort. Hitler wollte mehr als die Korrektur der Grenzen von Versailles - er suchte sogenannten "Lebensraum" für das deutsche Volk. Hitler wollte auch mehr als einen polnischen Vasallenstaat - er strebte die gänzliche Vernichtung des Staates an - die Auslöschung seiner führenden Schicht und die Ausbeutung der übrigen Bevölkerung. // Hitler nutzte Polen als Laboratorium für seinen Rassenwahn, als Übungsfeld für seine Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik gegenüber Slawen und Juden. Fast sechs Millionen polnische Bürger wurden willkürlich erschossen oder systematisch liquidiert. Sie endeten in Gefängniszellen, bei der Zwangsarbeit, im Bombenhagel oder in den Konzentrationslagern. // Und noch etwas kennzeichnet dieses Land: Keine andere Nation hat in einem derartigen Umfang und so lange Widerstand geleistet. Polen wollten ihr Land eigenständig befreien. Polen wollten ein freies, ein selbstbestimmtes und unabhängiges Land. // Als die Befreiung dann endlich kam, brachte sie der Nation jedoch weder Freiheit noch Unabhängigkeit. Polen zählte zu den Siegern, doch weder Freiheit noch Unabhängigkeit wurden Ihrem Land zuteil. Mit der sowjetischen Herrschaft folgte eine Diktatur auf die vorangegangene. Frei wurde Polen erst dank Solidarnosc. // Die bitteren Erfahrungen gerade der polnischen Nation zeigen: Wirklich in Frieden mit den Nachbarn leben nur Völker, die unabhängig und selbstbestimmt über ihr Schicksal entscheiden können. Wirklich in Frieden mit den Nachbarn leben nur Völker, die die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Anderen respektieren. // Heute dürfte es in Deutschland nur noch wenige Menschen geben, die persönliche Schuld für die Verbrechen des NS-Staates tragen. Ich selber war gerade fünf Jahre alt, als der Krieg zu Ende ging. Aber als Nachfahre einer Generation, die brutale Verbrechen begangen oder geduldet hat, und als Nachfahre eines Staates, der Menschen ihr Menschsein absprach, empfinde ich tiefe Scham und tiefes Mitgefühl mit jenen, die unter den Deutschen gelitten haben. Für mich, für uns, für alle Nachgeborenen in Deutschland, erwächst aus der Schuld von gestern eine ganz besondere Verantwortung für heute und morgen. // Wenn die Beziehungen zwischen Völkern so tief von Unrecht, von Schmerz, von Arroganz und Demütigung geprägt waren wie bei Deutschen und Polen, ist eine Entfeindung alles andere als selbstverständlich. Die Annäherung zwischen unseren Völkern kommt mir daher wie ein Wunder vor. // Um dieses Wunder Wirklichkeit werden zu lassen, brauchte und braucht es Menschen, die politische Vernunft und einen starken Willen einbringen. Politische Vernunft, um den Weg weiter zu beschreiten, den Westeuropa 1950 mit der Schaffung einer europäischen Völkerfamilie begann und nach 1989 gemeinsam mit Mittel- und Osteuropa fortsetzte. Ferner den starken Willen, die schmerzhafte Vergangenheit wohl zu erinnern, aber letztlich doch hinter sich zu lassen - um einer gemeinsamen Zukunft willen. // Ich kenne die langen Schatten, mit denen Leid und Unrecht die Seelen der Menschen verdunkeln. Ich weiß, dass Leid betrauert werden will und dass Unrecht nach ausgleichender Gerechtigkeit ruft. Deshalb brauchen wir weiter den aufrichtigen Umgang mit der Vergangenheit, der nichts verschweigt und nichts beschönigt und den Opfern Anerkennung zuteilwerden lässt. Ich weiß allerdings auch, dass Wunden nicht heilen können, wenn Groll oder Ressentiments die Versöhnung mit der neuen Wirklichkeit verhindern und dem Menschen die Zukunft rauben. // Um eben dieser Menschen willen dürfen wir altem und neuem Nationalismus keinen Raum geben. Um eben dieser Zukunft willen lassen Sie uns weiter vereint das friedliche und demokratische Europa bauen und mit Dankbarkeit an jene Deutschen und Polen erinnern, die schon früh aufeinander zugingen: mutige Menschen in den evangelischen und katholischen Kirchen, in der Aktion Sühnezeichen, unter den Intellektuellen beider Länder. Gerade wir Deutschen werden nicht den Kniefall von Willy Brandt in Warschau vergessen, jene Geste der Demut, mit der er um Vergebung für die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg bat. In unserer Erinnerung bleibt auch die Umarmung von Bundeskanzler Helmut Kohl und Premierminister Tadeusz Mazowiecki im schlesischen Kreisau - nur drei Tage nach dem Fall der Mauer 1989. Auf berührende Weise symbolisierte sie das Ende von Feindschaft, von Misstrauen, von Krieg und den Wunsch nach Verständigung und Aussöhnung. // Als sich vor genau fünf Jahren hier auf der Westerplatte 20 europäische Staats- und Regierungschefs versammelten, um gemeinsam der Gräuel des Zweiten Weltkriegs zu gedenken, sahen wir uns auf dem Weg zu einem Kontinent der Freiheit und des Friedens. Wir glaubten und wollten daran glauben, dass auch Russland, das Land von Tolstoi und Dostojewski, Teil des gemeinsamen Europa werden könnte. Wir glaubten und wollten daran glauben, dass politische und ökonomische Reformen unseren Nachbarn im Osten der Europäischen Union annähern und die Übernahme universeller Werte in gemeinsame Institutionen münden würden. // Wohl niemand hat damals geahnt, wie dünn das politische Eis war, auf dem wir uns bewegten. Wie irrig der Glaube, die Wahrung von Stabilität und Frieden habe endgültig Vorrang gewonnen gegenüber dem Machtstreben. Und so war es ein Schock, als wir mit der Tatsache konfrontiert wurden, dass am Rande von Europa wieder eine kriegerische Auseinandersetzung geführt wird. Eine kriegerische Auseinandersetzung um neue Grenzen und um eine neue Ordnung. Ja, es ist eine Tatsache: Stabilität und Frieden auf unserem Kontinent sind wieder in Gefahr. // Nach dem Fall der Mauer hatten die Europäische Union, die NATO und die Gruppe der großen Industrienationen jeweils besondere Beziehungen zu Russland entwickelt und das Land auf verschiedene Weise integriert. Diese Partnerschaft ist von Russland de facto aufgekündigt worden. Wir allerdings wünschen uns auch in Zukunft Partnerschaft und gute Nachbarschaft. Aber die Grundlage muss eine Änderung der russischen Politik und eine Rückkehr zur Achtung der Prinzipien des Völkerrechts sein. // Weil wir am Recht festhalten, weil wir es stärken und nicht dulden, dass es durch das Recht des Stärkeren ersetzt wird, stellen wir uns jenen entgegen, die internationales Recht brechen, fremdes Territorium annektieren und Abspaltung in fremden Ländern militärisch unterstützen. Und deshalb stehen wir ein für jene Werte, denen wir unser freiheitliches und friedliches Zusammenleben verdanken. Wir werden Politik, Wirtschaft und Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen. Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten lassen sich in diesen Grundfragen nicht auseinanderdividieren, auch nicht in der Zukunft. // Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern. Die Geschichte lehrt uns auch, dass aus unkontrollierter Eskalation eine Dynamik entstehen kann, die sich irgendwann der Steuerung entzieht. Und deshalb strebt Deutschland - wie die ganze Europäische Union - nach einer deeskalierenden Außen- und Sicherheitspolitik, die Prinzipienfestigkeit und Kompromissfähigkeit, Entschiedenheit und Elastizität miteinander verbindet - und die imstande ist, einer Aggression Einhalt zu gebieten ohne politische Auswege zu verstellen. // Europa steht vor neuen, vor großen Herausforderungen. Was wir augenblicklich erleben ist die Erosion alter Ordnungen und das Aufflackern neuer Formen von Gewalt an unserer Peripherie. Das gilt auch für den Nahen Osten und Nordafrika. Nur an wenigen Orten führte der Arabische Frühling zu Demokratie und Stabilität, vielerorts halten die Unruhen und die Machtkämpfe an. Starken Einfluss gewannen islamistische Gruppen, besonders gewalttätige Fundamentalisten setzten sich in Teilen von Syrien und im Irak durch. // Im Unterschied zu früheren Rebellionen geht es diesen Gruppen nicht um einen Machtwechsel im nationalstaatlichen Rahmen. Sie sind viel radikaler und zielen auf die Errichtung eines terroristischen Kalifats im arabischen Raum. Fanatisierte und brutalisierte Frauen und Männer aus unterschiedlichen Ländern missbrauchen die Religion und die Moral, um alle zu verfolgen und unter Umständen zu ermorden, die sich ihnen widersetzen - Muslime ebenso wie Andersgläubige. Unsere westlichen Staaten und Städte halten sie für Orte der Verderbnis. Die aus der Aufklärung erwachsene Gesellschaftsform der Demokratie wird von ihnen bekämpft und die Universalität der Menschenrechte, sie wird von ihnen geleugnet. // Verhinderung wie Bekämpfung dieses Terrorismus liegen ganz existentiell im gemeinsamen Interesse der Staatengemeinschaft und damit Europas. Erstens wegen der geographischen Nähe: Die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten kommen zu uns nach Europa, und die Terroristen werben neue Rekruten auch in unseren Staaten an. Zweitens, weil der Konflikt unsere europäischen Länder erreichen kann. Nicht auszuschließen ist, dass auch europäische Staaten zum Ziel islamistischer Angriffe werden. // Wenn wir den heutigen Jahrestag hier auf der Westerplatte gemeinsam begehen, so konfrontieren wir uns nicht nur mit dem, wozu Menschen im Zweiten Weltkrieg fähig waren. Wir konfrontieren uns heute gemeinsam auch ganz bewusst mit dem, wozu Menschen heute fähig sind. // Ja, uns führt heute das Gedenken zusammen, aber genauso stehen wir zusammen angesichts der aktuellen Bedrohungen. Niemand sollte daran zweifeln: Deutsche und Polen stehen beieinander und ziehen am selben Strang. Gemeinsam nehmen wir die besondere Verantwortung an, die uns mit den Konflikten in unserer Nachbarschaft zugewachsen ist. Wir handeln entsprechend und engagieren uns für friedliche Lösungen. // Auch die Europäische Union muss angesichts der neuen Herausforderungen zusammenstehen. Denn nur gemeinsam können wir das demokratische und friedliche Europa der Zukunft bauen. Und nur gemeinsam können wir es verteidigen.
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Ich bin sicher, dieser Mann kann uns wichtige Impulse geben für die Herausforderung unserer Zeit und der Zukunft, die Globalisierung, die europäische und internationale Staatsschuldenkrise, die Energiewende, die innere und äußere Sicherheit und nicht zuletzt das immer wieder neu zu schaffende Vertrauen in die Demokratie und unsere freiheitliche Grundordnung.
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Ich habe mich auf meinen Antrittsbesuch bei der Bundeswehr ganz besonders gefreut. Sie können sich wahrscheinlich nur sehr bedingt vorstellen, warum das so ist und warum ich so gerne zu Ihnen gekommen bin, hier an die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. // Soldaten und Militär - das war nämlich in meinem früheren Leben allgegenwärtig, in den Gesellschaften, in denen ich lebte bis zu meinem 50. Lebensjahr. Es sind keine guten Gefühle, die in mir hochkommen, wenn ich an diese Zeit denke. Wenn ich mich erinnere an all diese Aufmärsche, an die Militarisierung unserer Schulen, an die Erziehung zum Hass auch im Offizierscorps und unter den Soldaten, an die Ablehnung eines Zivildienstes durch Partei und Staat, an die militärische "Absicherung" einer unmenschlichen Grenze - und zwar nicht gegen einen Aggressor, sondern gegen das eigene Volk. Ich habe also in einem Land gelebt, in dem die Armee einer Partei verpflichtet war. Eine Armee, die "Volksarmee" hieß, aber es nicht war. Eine Partei, die von sich behauptet hat, den Volkswillen zu vertreten und die sich nicht gescheut hat, Soldaten unter Umständen auch gegen das Volk einzusetzen. Ich habe das Militärische also kennengelernt als eine - nicht nur physische - Begrenzung von Freiheit. // Und nun stehe ich vor Ihnen hier in Hamburg als Bundespräsident des vereinigten Deutschland. Ich stehe vor der Bundeswehr, zu der ich seit zweiundzwanzig Jahren auch "meine Armee" sagen kann. Und bin froh, weil ich zu dieser Armee und zu den Menschen, die hier dienen, aus vollem Herzen sagen kann: Diese Bundeswehr ist keine Begrenzung der Freiheit, sondern eine Stütze der Freiheit. // Jetzt ahnen Sie vielleicht, wie wertvoll dieser Besuch für mich ist und wie wertvoll die Begegnungen mit gebildeten Offizieren, die ich heute haben konnte, für mich sind. Welch ein Glück, dass es uns gelungen ist, nach all den Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland und nach den Gräueln des Krieges, in diesem Land eine Armee zu schaffen: eine Armee des Volkes, diesmal im besten Sinne, kein Staat im Staate in preußischer Tradition, keine Parteienarmee, sondern eine "Parlamentsarmee", an demokratische Werte gebunden, an Grundgesetz und Soldatengesetz; eine Armee unter der Befehlsgewalt eines Zivilisten, rekrutiert aus eigenverantwortlichen Bürgern und heute auch Bürgerinnen, die zu kritischen Geistern ausgebildet werden in Institutionen wie dieser; eine Armee, deren Einsätze unter dem Vorbehalt und der Zustimmung durch unsere Volksvertreter stehen und - wenn auch nicht genügend - öffentlich diskutiert werden. // All das kann einer wie ich, der zwei Drittel seines bisherigen Lebens in Diktaturen verbracht hat, nicht als selbstverständlich empfinden. In vielen Ländern der Welt ist es leider auch heute keine Selbstverständlichkeit. Und so ist für mich die Bundeswehr Teil dessen, was ich kürzlich in meiner Antrittsrede als "Demokratiewunder" in Deutschland bezeichnet habe. Ein Demokratiewunder, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen vollzogen hat - und vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten dann auch im Osten unseres Landes mit einer ganz eigenen Dynamik. // Ich denke daran, wie in den Jahren nach 1990 die Bundeswehr eine "Armee der Einheit" wurde - und wie aus Soldaten, die einst vielleicht aufeinander hätten schießen müssen, Kameraden wurden. Daran hat übrigens auch die engagierte Bildungsarbeit der Bundeswehr einen großen Anteil und ich denke an die verantwortlichen Offiziere und Politiker, die daran maßgeblich mitgewirkt haben, mit Dankbarkeit. Und ich möchte mit meinem Antrittsbesuch an diesem Ort, an diese komplizierte Phase ganz bewusst erinnern. Es gehört mit zu den Führungsaufgaben die Sie begleitet und gestaltet haben. // Liebe Soldatinnen und Soldaten, Sie schützen und verteidigen das, was uns am wichtigsten ist, auch über die Grenzen unseres Landes hinaus: Freiheit und Sicherheit, Menschenwürde und das Recht jedes Einzelnen auf Unversehrtheit. Sie handeln dabei im Auftrag einer freiheitlichen Demokratie. Sie sind als "Staatsbürger in Uniform" Teil dieser Gesellschaft, Sie stehen mit Ihrem Dienst für diese Gesellschaft ein. // Diese Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt, und auch Sie in der Bundeswehr stehen vor Aufgaben des Wandels. Ich nenne nur ein paar Stichworte: zunehmende finanzielle Zwänge, Reformen, damit haben Sie hier natürlich eine jahrzehntelange Übung, technische Neuerungen, Schließung von Standorten; die vollständige Öffnung der Bundeswehr für Frauen und, erst kürzlich, der Wegfall der allgemeinen Wehrpflicht, was viele in Deutschland noch bis heute nicht richtig verstanden haben, dazu gemeinsame Auslandseinsätze mit verbündeten Nationen und neue Arten von Bedrohungen und asymmetrischen Kriegen. // Vieles haben Sie gemeistert, vieles müssen Sie noch meistern. Sie werden es meistern, da bin ich mir sicher. Denn Sie stellen sich hier professionell und mit einem hohen Ethos darauf ein. // Diese Bundeswehr hat nie auf starre Strukturen und Prinzipien gesetzt. Sie hat sich bewusst und bedacht von vielen unguten militärischen Traditionen abgesetzt, auch wenn das in der Geschichte der Bundeswehr sicher manchem alt gedienten Offizier anderer Armeen nicht immer leicht gefallen ist. Sie hat mit ihrer Kultur der "inneren Führung" Diskussion und Reflexion möglich gemacht und damit auch Veränderungsfähigkeit. Bei meinem Rundgang hier in der Führungsakademie war ich sehr beeindruckt von dem, was Sie "Veränderungsmanagement" nennen. Diese Lernfähigkeit bei gleichzeitig fester Wertebasis ist das Fundament, auf das die Bundeswehr auch in Zukunft bauen kann. // Die Welt um uns verändert sich rasant. "Wir übernehmen jetzt Verantwortung für Dinge, über die wir früher nicht einmal nachgedacht hätten", so hat es kürzlich General Carl-Hubertus von Butler ausgedrückt, bis vor kurzem Befehlshaber des Heeresführungskommandos. Vor wenigen Tagen ging durch die Presse, wie sich die Bundeswehr für den sogenannten "Cyberkrieg" rüstet. Und während wir hier sitzen, stehen Tausende von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auf drei Kontinenten in Einsätzen ihren Mann und ihre Frau. // Die Bundeswehr auf dem Balkan, am Hindukusch und vor dem Horn von Afrika, im Einsatz gegen Terror und Piraten - wer hätte so etwas vor zwanzig Jahren für möglich gehalten? Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, werden heute ausgebildet mit der klaren Perspektive, in solche Einsätze geschickt zu werden - mit allen Gefahren für Leib, Seele und Leben. Sie haben einen Anspruch darauf, dass wir, die Zivilen, uns bewusst machen, was Ihnen abverlangt wird und welche Aufgaben wir von Ihnen in der Zukunft erwarten. All das darf nicht allein in Führungsstäben und auch nicht allein im Parlament debattiert werden. Es muss da debattiert werden, wo unsere Streitkräfte ihren Ort haben: in der Mitte unserer Gesellschaft. // Sie werden jetzt vielleicht - und zu Recht - sagen: bitte, an uns soll's nicht liegen, das kann ja geschehen. Wir hätten gerne mehr als bloß das heute sprichwörtliche "freundliche Desinteresse", das schon der frühere Bundespräsident Horst Köhler bedauernd festgestellt hat. Die Bundeswehr steht zwar mehr denn je unter Beobachtung der Medien. Und doch ist sie im öffentlichen Bewusstsein nicht sehr präsent. // Es liegt wohl zum einen an der unvermeidlichen räumlichen Distanz: Viele Standorte der Bundeswehr mussten geschlossen werden, Sie sind als Soldatinnen und Soldaten im Alltag unserer Städte und Gemeinden einfach weniger präsent. Und wer kann sich schon vorstellen, als Zivilist in dem so friedlichen Deutschland, wie es sich lebt in Masar-i-Scharif oder in Prizren, welche Entbehrungen diejenigen in Kauf nehmen müssen, die außerhalb der Feldlager ihren Auftrag erfüllen, welchen Belastungen sie tatsächlich tagtäglich ausgesetzt sind? // Zum anderen ist es aber so, dass bei vielen ein Nicht-Wissen-Wollen existiert. Das ist irgendwie menschlich: Wir wollen nicht behelligt werden mit Gedanken, dass es langfristig auch uns betreffen kann, wenn anderswo Staaten zerfallen oder Terror sich ausbreitet, wenn Menschenrechte systematisch missachtet werden. Wir denken eben nicht gerne daran, dass es heute in unserer Mitte wieder Kriegsversehrte gibt. Menschen, die ihren Einsatz für Deutschland mit ihrer seelischen oder körperlichen Gesundheit bezahlt haben. Und noch viel weniger gerne denken wir daran, dass es wieder deutsche Gefallene gibt, das ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen. // Die Abscheu gegen Gewalt ist dabei verständlich. Gewalt, auch militärische Gewalt, wird ja immer ein Übel bleiben. Aber sie kann - solange wir in der Welt leben, in der wir leben - eben nicht in einer geheilten, sondern in einer tief gespaltenen Welt, sie kann in einer solchen Welt notwendig und sinnvoll sein, um ihrerseits Gewalt zu überwinden oder zu unterbinden. Allerdings müssen wir dann, wenn wir zu dem letzten Mittel der militärischen Gewalt greifen, diese gut begründen. Wir müssen diskutieren: darüber, ob wir mit ihr die gewünschten Ziele erreichen oder ob wir schlimmstenfalls neue Gewalt erschaffen. Wir müssen auch darüber diskutieren, ob wir im Einzelfall die Mittel haben, die für ein sinnvolles Eingreifen nötig sind. Alle diese Fragen gehören - mit den handelnden Personen - gehören sie in die Mitte unserer Gesellschaft. // Dass Frieden, Freiheit und Achtung der Menschenrechte vielfach nicht von alleine entstehen - wer wüsste das besser als wir Deutschen? Es waren ausländische Soldaten, die unserem Land die Möglichkeit der Freiheit schenkten, als sie selbst für ihre eigene Freiheit kämpften. Deshalb: "Ohne uns" als purer Reflex kann keine Haltung sein, wenn wir unsere Geschichte ernst nehmen. Unsere Bundeswehr hat sich von unseligen militärischen Traditionen gelöst, sie ist fest verankert in einer lebendigen Demokratie. Sie hat deshalb unser Zutrauen verdient, nicht nur in Debatten um den "gerechten Krieg" zu bestehen, sondern auch einem "gerechten Frieden" den Weg zu bahnen, indem sie beiträgt zur Lösung von Konflikten, indem sie friedliche Koexistenz zu schaffen sucht, dort wo Hass regiert. // Freiheit, so haben wir gelernt, ist ohne Verantwortung nicht zu haben. Sie entbehrt auch ihres Wertes und ihrer Würde ohne diesen Begriff. Für Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, ist diese Haltung schrittweise selbstverständlich geworden. Ist sie es auch in unserer Gesellschaft? Freiheit und Wohlergehen sehen viele als Bringschuld der Demokratie und des Staates. Manche verwechseln dabei aber Freiheit mit Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit oder auch Hedonismus. Andere sind wiederum sehr gut darin, ihre Rechte wahrzunehmen oder gegebenenfalls sie auch vehement einzufordern. Und vergessen dabei allzu gern, dass eine funktionierende Demokratie auch Einsatz fordert, Aufmerksamkeit, Mut, und eben manchmal auch das Äußerste, was ein Mensch geben kann: das Leben, das eigene Leben. // Diese Bereitschaft zur Hingabe ist selten geworden in Zeiten, da jeder für sich selbst Verantwortung zu übernehmen hat - und zu viele meinen, damit schon genug Verantwortung zu tragen. Hier, in der Bundeswehr, treffe ich überall auf Menschen mit der Bereitschaft, sich für etwas einzusetzen - gewissermaßen treffe ich auf "Mut-Bürger in Uniform"! // Man trifft diese Bereitschaft selbstverständlich auch an anderen Orten, in sehr vielen zivilen sozialen Berufen etwa oder etwa wenn man die Orden verleiht, wie es Bundespräsidenten regelmäßig tun dürfen. Diejenigen, die ich jetzt anspreche, sind nicht die einzigen, die Freiheit als Verantwortung definieren, sondern es gibt ganze Netzwerke in unserer Gesellschaft von Menschen, die es genauso sehen, ob als Zivilisten oder in Uniform. Für solche Menschen hat das Wort "dienen" keinen altmodischen Klang. Es ist Teil ihres Lebens oder - wie in Ihrem Fall - auch ihres Berufes. Darum ist ja auch die Bezeichnung "Staatsbürger in Uniform" so gut, wir wollen sie bewahren: Sie sind eben nicht nur Bürger, sondern auch Staatsbürger, diesem Land verpflichtet. // Ihr Werbespruch "Wir. Dienen. Deutschland." trifft es auf den Punkt - das heißt, mit gleich drei Punkten nach meinem Geschmack fast zuviel, aber Sie haben ja etwas beabsichtigt mit dieser Punktierung. Er trifft, nicht allein, was das "dienen" betrifft. Er lässt eben auch einen Patriotismus aufscheinen, der sich - frei nach Johannes Rau - darin zeigt, dass man sein Heimatland liebt, die Heimatländer der anderen darum aber nicht verachten muss. // Und auch dem "Wir" dient diese Bundeswehr in einem ganz besonderen Sinn: Keine Institution hat so umfassend und so früh junge Menschen, junge Männer aus beiden Teilen Deutschlands zusammengebracht, unmittelbar nach der Neuvereinigung unseres Landes. Hier arbeiten Menschen aus Ost und West, aus Nord und Süd, junge und ältere, solche mit und ohne ausländische Wurzeln zusammen. Und durch die Tore dieser Führungsakademie laufen täglich Militärangehörige aus rund 60 Nationen. Gemeinsame Einsätze mit befreundeten Streitkräften und insbesondere auch Ausbildungen wie der "Lehrgang Generalstabs-/ Admiralstabsdienst mit internationaler Beteiligung", der heute sein 50. Jubiläum feiert, sind wichtige Motoren der Verständigung zwischen ganz unterschiedlichen Völkern. Ich gratuliere Ihnen zu dieser guten Tradition. Die Bundeswehr ist - gerade durch solche Lehrgänge und Begegnungen - zu einem Friedensmotor geworden. Sie befördert das große "Wir", ohne das ein dauerhafter Friede nicht möglich ist. // Wie bildet man Menschen aus, die solch wichtige Aufgaben übernehmen? An dieser Führungsakademie, das habe ich gespürt, wird kein geistiger Gleichschritt gelehrt. Hier werden Persönlichkeiten gebildet und eine Fülle von Fähigkeiten entwickelt: Entscheidungsvermögen und Übersicht in fordernden Gefechtssituationen, aber auch politisches Urteilsvermögen und diplomatisches Fingerspitzengefühl, die Fähigkeit, Widerspruch in Rede und Gegenrede zu begründen, interkulturelle Kompetenz und der Umgang mit Medien. Alles in allem: die hohe Kunst, Verantwortung zu übernehmen. // "Sie stehen nicht nur persönlich vor ihren eigenen Soldaten im Rampenlicht, sondern als Verantwortliche der Bundeswehr mitten in den Fragestellungen unserer ganzen Gesellschaft." So hat es Richard von Weizsäcker vor 25 Jahren - und bis heute zutreffend - formuliert. Für diese wichtige Aufgabe wünsche ich Ihnen weiterhin viel Glück, Mut, Selbst- und Gottvertrauen. Ich bin froh, Ihnen heute aus vollem Herzen sagen zu können: Für diese unsere Bundeswehr bin ich dankbar! Das sagt der Bürger Joachim Gauck genauso wie der Bundespräsident.
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In tiefer Trauer verneigen wir uns vor Richard von Weizsäcker, einem großen Deutschen und einem herausragenden Präsidenten. Wie nur wenige stand er für unser Land - und wie nur wenige hat er für unser Land weltweit Achtung und Sympathie erworben. // Die deutsche Geschichte hat ihn geprägt. Und er hat selber tiefe Spuren in der Geschichte unseres Landes hinterlassen. Richard von Weizsäcker hat uns in den langen Jahren seines Wirkens Inspiration und Orientierung gegeben. // Wir waren es gewohnt, ihn bis ins hohe Alter zu wesentlichen Fragen zu hören. Seine Stimme, seine Art zu denken und zu sprechen, sind uns in den Jahrzehnten seines Wirkens so vertraut geworden wie die eines väterlichen Freundes. Er war ein Pater Patriae, so hätte man es früher gesagt. Er war uns vertraut - und wir haben Vertrauen zu ihm gehabt. // Wenn auch nicht jeder mit allem einverstanden gewesen ist, was er gesagt hat, so haben wir doch immer gewusst: Was er sagt, ist die Frucht einer großen Lebenserfahrung, eines unabhängigen Geistes und einer gründlichen Gewissensbefragung. Weil er nicht auf schnellen Applaus aus war, sondern auf Mitdenken; weil er auf die Kraft des Arguments baute und nicht auf schnelle Überredung; weil er auch beim Anderen voraussetzte, was ihn selber leitete: der Wille zum moralisch begründeten Handeln. All das hat dazu beigetragen, dass er glaubwürdig war. // Im Grundgesetz steht nicht geschrieben, dass ein Bundespräsident eine moralische Instanz zu sein hat. Es ist auch nicht vorgeschrieben, dass er intelligent sein, der sittlichen Vernunft folgen und auch noch durch tiefgründige Reden überzeugen können soll. Aber Richard von Weizsäcker hat all dies beherrscht oder hat es gelebt - souverän, freundlich und selbstverständlich. // Er hat damit Maßstäbe für das Amt gesetzt. Das galt für seine vielbewunderte Fähigkeit, unter praktisch allen Umständen Würde und Souveränität auszustrahlen. Er überzeugte besonders, weil Amt und Person so passgenau zur Deckung kamen. Und weil seine Reden und seine Handlungen, seine ganze Unabhängigkeit so sehr dem entsprachen, was die Deutschen sich von einem Staatsoberhaupt wünschten. // Das galt übrigens nicht nur für die Bundesdeutschen der Bonner Republik. Auch für uns Deutsche in der DDR war er eine Integrationsfigur. Mit unzähligen Menschen in der DDR wünschte ich einst, er könnte auch unser Präsident sein. Später wurde er zu unser aller Glück der erste Bundespräsident im wiedervereinigten Land. Er war es, der 1987 zu Michail Gorbatschow, der damals von einer "offenen deutschen Frage" nichts wissen wollte, gesagt hatte: "Die deutsche Frage ist offen, solange das Brandenburger Tor zu ist". // Die äußerlich wahrnehmbare Souveränität kann nur dem gelingen, dessen Souveränität aus innerer Stärke kommt. // Woher die innere Stärke dieses Mannes kam, bleibt letztlich, wie bei jedem Menschen, ein Geheimnis. Aber wir dürfen schon vermuten, dass seine Erziehung dazu beitrug: in einer Familie, in der der Dienst am Gemeinwesen in hohen und höchsten Ämtern über Generationen üblich war. // Die Erfahrung mit seinem Vater hat ihn andererseits auch gelehrt, vor welche Gewissensfragen ein solcher Dienst einen Menschen stellen kann. Wohl sein Leben lang hat er sich innerlich mit seinem Vater auseinandergesetzt, dem Staatssekretär im nationalsozialistischen Deutschland, den er, nicht nur vor dem Nürnberger Gericht, sondern immer verteidigt hat. // Geprägt haben ihn gewiss auch seine eigenen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg: Schon am ersten Tag des Krieges musste er dabei sein, als die Wehrmacht in Polen einmarschierte. Am zweiten Tag wurde sein Bruder, wenige hundert Meter von ihm entfernt, tödlich verletzt. Der Kriegsteilnehmer von Weizsäcker hat vieles gesehen, vieles erlebt und später vieles verarbeiten müssen. Er hat darüber nur wenig gesprochen. Aber zeitlebens hat ihm die eigene Zeit mit ihren Brüchen und Kontinuitäten vor Augen gestanden. Das hat ihn nicht nur zu einem Zeugen der Zeiten, sondern später zu einem Deuter der Zeit gemacht. // Und ganz gewiss haben ihn die Erfahrungen seiner jungen Jahre zu einem überzeugten Demokraten gemacht. Auch dass eine Demokratie wehrhaft und stark sein muss, war ihm bewusst als eine nie zu vergessende Lehre aus dem Scheitern von Weimar. // Dass Politik im demokratischen Rechtsstaat durch Parteien gestaltet wird, war Richard von Weizsäcker vollkommen klar. Er ist 1954 Mitglied der CDU geworden, und ohne diese Mitgliedschaft hätte er damals keine politischen Ämter erreichen können. Sein "Ja" zur Parteiendemokratie hinderte ihn nicht, später auf die Gefahr hinzuweisen, dass Parteien versucht sein können, den eigenen Machterhalt vor das Interesse des Gemeinwesens zu setzen. // Freiheitliche Gesinnung und demokratische Überzeugung bedeuteten für ihn nicht, sich immer der Mehrheit zu fügen. 1972 stellte er sich gegen die überwältigende Mehrheit seiner Bundestagsfraktion und kündigte an, für die Annahme der Ostverträge stimmen zu wollen. Sein politischer Einsatz führte letztlich dazu, dass sich die allermeisten Abgeordneten von CDU und CSU der Stimme enthielten. So half er, diese Verträge und damit die historische Leistung von Bundeskanzler Willy Brandt zu ratifizieren. // Ohne die enge Einbindung in das Atlantische Bündnis je in Frage zu stellen, knüpfte er an sein eigenes langjähriges und leidenschaftliches Engagement für eine Aussöhnung mit den östlichen Nachbarn Deutschlands an. Richard von Weizsäcker war nicht nur 1965 an der Formulierung der wegweisenden Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland beteiligt. Durch vielerlei Kontakte knüpfte er Bande des Vertrauens, die sich als haltbar erwiesen und die sich später, bei der Überwindung der Teilung Europas, als ungemein wichtig herausstellten. Angesichts seines Todes sind deshalb gerade aus Polen große Zeichen der Anteilnahme gekommen. // Es war nicht immer einfach, seine eigenen Parteifreunde von der Richtigkeit dieses Weges zu überzeugen. Auch die Gelassenheit, mit der er den Protestbewegungen der 1980er Jahre begegnete, als Regierender Bürgermeister von Berlin sogar den Hausbesetzern, betrachtete mancher aus dem konservativen Milieu mit Skepsis. Aber er half doch damit, die Verankerung des demokratischen Staates in den Köpfen und Herzen gerade der kritischen Geister zu stärken. Auch so wurde Richard von Weizsäcker zu einem der glaubwürdigsten Repräsentanten dieser Republik, gerade für die jüngere Generation. // Zu seiner inneren Stärke und zu seiner klaren Orientierung trug nicht zuletzt sein christlicher Glaube bei. Bei Richard von Weizsäcker waren Wort und Tat erkennbar die eines engagierten Christen. Die Aufgabe, die er lange Jahre als Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages wahrgenommen hat, sie hat ihm entsprochen. // Von großer Bedeutung war für ihn die Kraft, die er aus seiner Familie schöpfte und ganz besonders aus der jahrzehntelangen Liebe zu und von seiner Frau Marianne. // Liebe, verehrte Frau von Weizsäcker, wir alle konnten sehen, was Sie beide einander bedeuteten. Deshalb sind wir Ihnen auch dankbar für Ihre Unterstützung dieser bedeutenden Präsidentschaft. Und es ist uns ein tiefes Bedürfnis, in diesen Tagen des Abschieds Ihren Schmerz mitzutragen. Wenn schon für uns, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, der Tod Richard von Weizsäckers ein so großer Verlust ist, dann erst recht doch für seine Familie, seine Kinder, seine Enkel, auch für seine Freunde. Ihnen allen gilt unser Mitgefühl. // Richard von Weizsäcker hat ein wahrhaft biblisches Alter erreicht. Er ist ein Zeuge des Jahrhunderts. In seiner Lebensgeschichte begegnet uns eine Existenz, die noch ganz andere Prägungen erfahren hat als unsere Gegenwart sie kennt. Als er im Stuttgarter Neuen Schloss geboren wurde, war die württembergische Monarchie, der sein Großvater noch gedient hatte, gerade einmal zwei Jahre abgeschafft. // Als gebürtiger Schwabe gehörte er einem Deutschen Reich an, das von Aachen bis Königsberg reichte. Und als er Bundespräsident wurde, gehörten nicht einmal mehr Erfurt und Weimar, Leipzig oder Dresden zu dem Staat, den er repräsentierte, nicht einmal "Unter den Linden" in Berlin oder die Wilhelmstraße, wo 40 Jahre zuvor das Auswärtige Amt seinen Sitz hatte, in dem sein Vater Dienst tat. All das gehörte nicht zu diesem Deutschland, dessen Präsident er wurde. // Richard von Weizsäcker wusste nicht nur intellektuell, was Deutschland durch Diktatur, Völkermord und Krieg verspielt hatte. Er erlebte es sozusagen mit seiner ganzen Biographie einschließlich seiner Familiengeschichte. Vielleicht war er deswegen - wagen wir es ruhig, dieses Wort zu benutzen: berufen dazu, uns Deutschen zu einer endgültigen Klarheit über den Krieg und seine Folgen zu verhelfen. // Im Leben eines jeden Menschen, da gibt es Momente, auf die gleichsam die ganze Existenz zuläuft, Augenblicke, in denen der Mensch "Ja" sagt zu dem, was unvertretbar auf ihn und niemanden anderes jetzt zukommt. Das war für den politischen Menschen Richard von Weizsäcker zweifellos seine Rede am 8. Mai 1985. // Richard von Weizsäcker hat sich mit dieser Rede um sein Vaterland verdient gemacht. Nicht, weil er gesagt hätte, was damals niemand gewusst hat. Er hat vielmehr das gesagt, was 1985 alle wissen mussten, was aber auch 1985 noch immer nicht alle wissen wollten. In einer langen und intensiven Vorbereitung dieser Rede hat er nicht nur Spuren aufgenommen, die frühere Bundespräsidenten gelegt hatten, hat nicht nur Stimmen und Stimmungen der bewegten Jahre nach 1968 wahrgenommen, sondern er hat all dem seine eigenen Erfahrungen beigefügt. Als Zeitgenosse des blutigen Jahrhunderts war es sein eigenes inneres "Ja", das ihn zu einer Erkenntnis geführt hat, die die Öffentlichkeit als Bekenntnis empfunden hat. Es war ein Bekenntnis. // Die zentralen Sätze beschrieben die Erkenntnis, dass die schlimmen Leiden, die die Deutschen selbst erlebten am Kriegsende, nicht als unverschuldetes Schicksal über uns gekommen waren: "Wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen." Seine Worte. // Als er mit der Autorität des Staatsoberhauptes den 8. Mai einen Tag der Befreiung nannte, vergaß er nicht diejenigen, für die mit diesem Tag das Schlimmste noch lange nicht zu Ende war oder gar erst begann. Aber für Viele hat er damit dem Lavieren ein Ende gesetzt, so dass sie nun freier in die Vergangenheit sehen und in die Zukunft gehen konnten. Im Laufe der Zeit wuchs deswegen die Zustimmung zu dieser Rede auch bei denen, die erst nicht applaudieren konnten. // Und noch etwas: Richard von Weizsäcker förderte mit dieser Rede und mit seiner Haltung den Mut zur Wahrhaftigkeit. Er lebte diese Wahrhaftigkeit hier selber vor. In dieser Rede ist in eindringlichen Worten ausgedrückt, dass Menschen, dass wir aus eigener Kraft und aus eigener Erkenntnis jene Einsichten formulieren konnten, die uns befreiten zu einem neuen Selbstverständnis. Es waren nicht zuletzt diese Rede und - vergessen wir es nicht - die Politik des Bundeskanzlers Helmut Kohl, die in der Welt das Vertrauen in ein wahrhaft gewandeltes Deutschland befestigten, ein Vertrauen, das den Prozess der Vereinigung Deutschlands enorm unterstützt hat. // So sind wir dankbar, wenn wir zurückschauen: Wir sehen Richard von Weizsäcker, den Mann, der mit der Geschichte und aus der Geschichte lebte - und gerade so den Fragen der Gegenwart ungewöhnlich offen zugetan war; einen Mann, der wusste, was pragmatisches Regieren bedeutete - und gerade deshalb eine Politik ohne Wertegrundlage ablehnte; einen eminent politischen Präsidenten, der notwendigen Kontroversen nicht aus dem Wege ging - und trotzdem auf Konsens zielte; einen Mann des disputierenden Abwägens, vertraut mit den Ambivalenzen und Paradoxien der Politik - und gleichzeitig fähig zu glasklarer Eindeutigkeit in Grundfragen. // In ihm, Richard von Weizsäcker, sahen die meisten Deutschen die Verkörperung guter Präsidentschaft. Das war für die Befreundung der Deutschen mit ihrem Land, mit ihrer Demokratie wichtig. Wir könnten es auch einfacher sagen: Indem sie ihn mochten, lernten die Deutschen sich selber zu mögen. Etwas Heilendes war mit ihm in das politische Leben gekommen. Denn nur wer Vertrauen zu sich selbst hat, wird erfahren, dass auch andere ihm vertrauen. // In tiefer und großer Dankbarkeit tragen wir ihn jetzt hier in Berlin zu Grabe, in der Stadt, die auch durch seinen leidenschaftlichen Einsatz die Hauptstadt eines vereinten Deutschlands geworden ist. // Wir verneigen uns vor Richard von Weizsäcker, einem großen Bundespräsidenten, der, als es an ihm war, das Richtige sagte und das Richtige tat.
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Liebe Bürgerinnen und Bürger hier im Land, liebe Landsleute in der Ferne, es ist Weihnachten. Viele von uns lesen und hören in diesen Tagen die Weihnachtsgeschichte. In dieser Geschichte um das Kind in der Krippe begegnen uns Botschaften, die nicht nur religiöse, sondern alle Menschen ansprechen: "Fürchtet Euch nicht!" und "Friede auf Erden!" // Wir sehnen uns nach Frieden - auch und gerade, weil in der Realität so viel Unfriede, so viel Krieg herrscht. // Vor wenigen Tagen bin ich aus Afghanistan zurückgekehrt. Es hat mich beeindruckt, wie deutsche Soldatinnen und Soldaten unter Einsatz ihres Lebens Terror verhindern und die Zivilbevölkerung schützen. Mein Dank gilt ihnen - wie auch den zivilen Helfern dort. // Eine solche Reise führt dem Besucher vor Augen, wie kostbar der Frieden ist, der seit über 60 Jahren in Europa herrscht. Gesichert hat ihn die europäische Idee. Zu Recht hat die Europäische Union den Friedensnobelpreis erhalten. Jetzt aber ist die Frage: Wird unser politischer Wille zusammenhalten können, was ökonomisch und kulturell so unterschiedlich ist? // Deutschland hat die Krise bisher gut gemeistert. Verglichen mit anderen Europäern geht es den meisten von uns wirtschaftlich gut, ja sogar sehr gut. Zudem ist Deutschland politisch stabil. Radikale Parteien haben nicht davon profitiert, dass ein Teil der Menschen verunsichert ist. // Sie sind verunsichert angesichts eines Lebens, das schneller, unübersichtlicher, instabiler geworden ist. Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander, der Klimawandel erfordert ebenso neue Antworten wie eine alternde Gesellschaft. Sorge bereitet uns auch die Gewalt: in U-Bahnhöfen oder auf Straßen, wo Menschen auch deshalb angegriffen werden, weil sie schwarze Haare und eine dunkle Haut haben. // Angesichts all dessen brauchen wir nicht nur tatkräftige Politiker, sondern auch engagierte Bürger. Und - manchmal brauchen wir eine Rückbesinnung, um immer wieder zu uns und zu neuer Kraft zu finden. // Dazu verhilft uns Weihnachten. Für Christen ist es das Versprechen Gottes, dass wir Menschen aufgehoben sind in seiner Liebe. Aber auch für Muslime, Juden, Menschen anderen Glaubens und Atheisten ist es ein Fest des Innehaltens, ein Fest der Verwandten und Wahlverwandten, ein Fest, das verbindet, wenn Menschen sich besuchen und beschenken - mit schönen Dingen, vor allem jedoch mit Zuwendung. Wer keine Zuwendung erfährt und keine schenkt, kann nicht wachsen, nicht blühen. // In der Sprache der Politik heißt das: Solidarität. In der Sprache des Glaubens: Nächstenliebe. In den Gefühlen der Menschen: Liebe. // Ja, wir wollen ein solidarisches Land. Ein Land, das den Jungen Wege in ein gutes Leben eröffnet und den Alten Raum in unserer Mitte belässt. Ein Land, das jene, die seit Generationen hier leben, mit jenen verbindet, die sich erst vor Kurzem hier beheimatet haben. // Kürzlich hat mir eine afrikanische Mutter in einem Flüchtlingswohnheim ihr Baby in den Arm gelegt. Zwar werden wir nie alle Menschen aufnehmen können, die kommen. Aber: Verfolgten wollen wir mit offenem Herzen Asyl gewähren und wohlwollend Zuwanderern begegnen, die unser Land braucht. // Bei meinen zahlreichen Begegnungen in den vergangenen Monaten durfte ich etwas sehr Beglückendes erfahren: dass die Zahl der Menschen, die unsere Gegenwart und Zukunft zum Besseren gestalten, weit größer ist als die Zahl der Gleichgültigen. Mein Dank gilt deshalb den engagierten Frauen und Männern. Ihre Tatkraft bestärkt mich - besonders aber stärkt sie unser Land, weil sie es schöner, liebenswerter, menschlicher macht. // Der Stern aus der Weihnachtsgeschichte führte Menschen einst von fernher zu einem ganz besonderen Ziel - zu einem Menschenkind. Einen solchen Stern wünsche ich jedem in unserem Land. Einen Stern, der ihn zum Mitmenschen, der uns zueinander führt. // Mit diesem Wunsch also: gesegnete Weihnachten!
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Liebe Bürgerinnen und Bürger! // Wir haben eine Wahl. Wir haben etwas, wovon Millionen Menschen in der Welt noch träumen. // Es gehört zur Freiheit in unserem Land, auf dieses Recht zu verzichten. Aber es gehört auch zur Freiheit, daran zu erinnern: Demokratie passiert nicht einfach, sie wird gemacht: von uns. // Demokratie ist gemeinsames Handeln von allen, die sich einbringen wollen. Und wie viel Kompetenz und Hingabe, wie viel Mut und Ehrlichkeit wir in der Politik vorfinden, ist kein Zufall, sondern Folge unserer Entscheidungen. Diejenigen, denen wir unsere Stimme geben, werden unser Land gestalten. Was wir aktiv beitragen, wird zum Programm. Was wir passiv hinnehmen, ebenso. // Deshalb möchte ich Sie ermutigen: Überlassen Sie unsere parlamentarische Demokratie nicht der Beliebigkeit oder gar dem Verdruss. // Eigentlich ist uns das Wählen vertraut: Jeden Tag treffen wir unsere Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten - in allen möglichen Lebensbereichen. Warum soll das für die Politik nicht gelten? // Unsere Demokratie lebt davon, dass wir eine Stimme haben und diese Stimme nutzen. Sie lebt davon, dass Bürger andere Bürger auf Zeit damit beauftragen, die öffentlichen Dinge zu regeln. Und sie lebt davon, dass die Gewählten ihren Auftrag ernst nehmen. // Unsere Demokratie ist nicht perfekt und ihre Ergebnisse überzeugen nicht jeden jederzeit. Aber sie ist vital, offen für Veränderung, lernfähig und damit die Ordnung, die das Kostbarste schützt, was wir haben: selbstbestimmt und eigenverantwortlich unser Leben, unsere Zukunft zu gestalten. // 61,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind in diesem Jahr wahlberechtigt. Jede und jeder einzelne kann gewiss sein: Ihre Stimme hat am Sonntag Gewicht und zwar genauso viel wie die Stimme Ihres Nachbarn, Ihres Vorgesetzten oder die des Bundespräsidenten. // Wir alle haben die Wahl. Wollen wir abwarten, zuschauen oder mitwirken? Indem wir wählen, entscheiden wir uns für eine lebendige Demokratie.
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Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, mit dieser Anrede gebe ich die Begrüßungsformel an Sie zurück, Herr Bürgermeister. Sie haben gemeint, stolz und glücklich sein zu sollen, weil ich Sie besuche. Nein, es ist anders. Ich bin stolz und glücklich, dass es Sie gibt, Sie und Ihre Bürgerinnen und Bürger. // Ich bin hierher gekommen, weil ich einmal exemplarisch in der Nähe von gelösten und ungelösten Problemen sein möchte. Wir alle in Deutschland, ob wir Wähler oder Gewählte sind, wir alle wissen: Wir stehen vor schweren Herausforderungen, und landauf, landab wird nun gerätselt - hoffentlich auch geplant und nicht nur gerätselt und geklagt -, was zu tun ist. Und das Erste, was ich nicht nur Ihnen, sondern allen Deutschen sagen möchte, ist: Zu einer Zeit von Herausforderungen gehören Debatten und Kontroversen, aber sie gehören in die Mitte der Gesellschaft. Wir wollen nicht, dass auf der einen Seite die guten Menschen mit den weiten Herzen stehen und auf der anderen Seite die Engherzigen. Die einen dürfen jammern und klagen, und die anderen dürfen schaffen und umsorgen und sich freuen, dass wir so solidarisch sind. So wird das alles nicht funktionieren. // Sie haben sich ja an die Landesregierung gewandt, an die Bundesregierung, manchmal wenden Sie sich auch an die Gebietskörperschaft, und Sie bitten um Verständnis oder um Solidarität und um Hilfe. Wir müssen begreifen, dass wir beides tun können. Wir können solidarisch handeln und gleichzeitig eine Problemanalyse betreiben und Sorgen und Besorgnisse benennen. Wenn wir in der Mitte der Handelnden und der Solidarischen aufhören, die Probleme zu besprechen, die unsere Mitbürger betreffen, dann werden am rechten Rand genug Verführer und Nutznießer sein, die sich dieser Probleme bemächtigen und so tun, als wären sie die Einzigen, die darüber sprechen. So darf das natürlich nicht sein. Und darum müssen wir in der Mitte der Gesellschaft auch ertragen, dass es gesellschaftliche Debatten und manchmal auch Streit gibt. So ist das in der Demokratie. Die offene Gesellschaft kommt ohne diese Form der Kommunikation gar nicht aus. Und dann dürfen auch Abgeordnete mal unterschiedlicher Meinung sein. Und das ist auch noch normal. Und wir, in den Gemeinden, Bürgerinnen und Bürger, die vor der Situation stehen, dass die Turnhalle ihrer Kinder gerade belegt ist oder dass eine benachbarte Liegenschaft genutzt wird in einer Weise, wie es nicht geplant war, die dürfen das Maul aufmachen. Die dürfen sagen "Bürgermeister, was machst du gerade mit uns?" Und der Bürgermeister ist gut beraten, wenn er rechtzeitig mit den Bürgerinnen und Bürgern spricht, was er zu tun gedenkt. Und dann kann er die Bürgerinnen und Bürger auch fragen: "Ja, was soll ich denn sonst machen? Soll ich die Leute unter Brücken schlafen lassen oder am Fluss oder an der Landstraße liegen lassen?" Und dann wird er hören, was für Antworten er bekommt. // Und deshalb bin ich froh darüber, dass ich in einer Stadt bin, wo es eine ganz herausragende Qualität von Engagement gibt, in der es so viele engagierte Bürgerinnen und Bürger gibt, in den Vereinen, in den Verbänden, unseren Hilfsorganisationen, einfach überall. Ob es die freiwillige Feuerwehr, die Polizei oder welche Organisation auch immer ist. Diese Unmenge von freiwilligen Helfern, die überall im ganzen Land sind. Ich bin dankbar und glücklich, dass dieses Land sich so selbst erkennt in seinen Potentialen, in seiner Fähigkeit, nicht wegzuschauen, sondern hinzusehen und helfen zu wollen. Wunderbar. Wir haben es so nicht erwartet. Wir könnten unser Land, wenn es eine Person wäre, so ansprechen: "Du, das hätte ich von dir nicht erwartet. Das gefällt mir." Und indem wir unser Land so ansprechen, erkennen wir uns auch in unseren Potentialen, in unseren Möglichkeiten. Und jetzt kommt noch etwas hinzu: So wie Sportler, die Höchstleistungen erbringen, oder Musiker, die wunderbare Werke schaffen, so erkennen wir uns oft erst dann, wenn wir an die Grenzen des uns Möglichen gehen. Wenn wir in uns Fähigkeiten entdecken, von denen wir vorher nicht geglaubt hätten, dass wir sie haben. Und deshalb habe ich eben gesagt, wenn unser Land eine Person wäre, würde ich sagen: "Gut gemacht". // Bei diesem "gut gemacht", das will ich jetzt auch mal mit aller Deutlichkeit sagen, damit meine ich auch alle diejenigen, die beamtet, die angestellt sind, nicht nur die Ehrenamtlichen, die haben wir jetzt in den letzten Wochen dauernd gelobt. Ich will heute auch einmal diejenigen loben, die Überstunden machen, die, wie ich es heute von Ihrem Bürgermeister gehört habe, nachts um drei senkrecht im Bett stehen, um sich Gedanken zu machen und zu fragen: "Wo bringe ich die Leute unter?" Ich hoffe, er macht es nicht jede Nacht, dann haben Sie ihn nicht mehr lange. Aber dieses Bild eines engagierten Mitarbeiters, eines engagierten Bürgermeisters, eines engagierten Abteilungs- oder Referatsleiters, einer engagierten Mitarbeiterin am Computer - für alle die, die bei uns im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, sind das ja auch großartige Zeiten. Und für sie gilt, was ich eben für das ganze Land gesagt habe. Sie lernen sich neu kennen mit ihrer Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen und großartig zu sein. Das stärkt sie. // Und warum brauchen wir diese Stärke? Weil sich um uns herum an den Rändern eine Angstkultur entwickelt, die bedrohlich ist. Ängste sind oft etwas anderes als eine Problemanalyse. Sie sind diffus. Es werden Vermutungen geäußert, es werden Stereotypen bedient. Das ist gefährlich. Es werden Horrorszenarien für die Zukunft entwickelt. Und diese Horrorszenarien und diese negativen Stereotypen, sie haben alle eins gemeinsam: Sie entmächtigen uns, sie suggerieren uns, wir seien nicht im Stande, den Herausforderungen, vor denen wir stehen, zu entsprechen. // Aber, meine Damen und Herren, wir sind die, die wir geworden sind. Wir sind aus einer Nation, die zutiefst danieder lag, moralisch diskreditiert war, zu einer Nation geworden, die sich selber etwas zutraut. Wir sind die, die sich etwas zutrauen. Und indem wir uns das bewusst machen, fürchten wir uns auch nicht mehr vor einer Problemdebatte in der Mitte unserer Gesellschaft. Ich wiederhole mich da, aber das tue ich ganz bewusst, weil ich diese Aufteilung der Gesellschaft in diejenigen, die gutwillig und gutmütig und aufnahmebereit und aktiv sind, und diejenigen, die böswillig und fremdenfeindlich sind, die akzeptiere ich nicht. Ich weiß, dass es böswillige und fremdenfeindliche Menschen gibt, ich finde sie unerträglich. Auch wie sie mit den Ängsten von Menschen manipulieren, um sich selber Einfluss zuzueignen, der ihnen gar nicht zukommt. Das weiß ich. Aber so wenig wie wir diesen Angstmachern die Zukunft unseres Landes überlassen, ja, auch nur eine Rolle bei dieser Zukunft des Landes maßgeblich mitzuwirken, so wenig überlassen wir ihnen die Deutungshoheit über unsere Probleme, auch über unsere ungelösten Probleme. // Und deshalb meine Bitte an Sie und an alle anderen, die sich in der Mitte der Gesellschaft Sorgen machen, ob wir das schaffen: Reden Sie mit Ihrem Bürgermeister. Reden Sie mit Ihren Abgeordneten. Behalten Sie Ihre Befürchtungen nicht für sich. Konfrontieren Sie Ihre Abgeordneten und Minister mit Ihrer Problemanalyse und erwarten Sie von den Politikern, dass sie Handlungsfähigkeit zeigen. Die versuchen es doch. Aber was ihnen zurzeit schwer gelingt, ist Planungssicherheit herzustellen. Ja, wie auch? Wissen wir denn, wie viele Flüchtlinge übermorgen zu uns kommen? Wir wissen es nicht. Und darum brauchen unsere politischen Akteure neben unserer Fähigkeit zur Kritik, neben unseren Anregungen, auch ein gewisses Maß an Verständnis. Ich gehe mal davon aus, meine Damen und Herren, dass die wenigsten von Ihnen es besser machen könnten als Ihre Ministerpräsidentin und die Bundeskanzlerin. Es mag ja sein, dass sich der eine oder andere hier befindet, der fest davon überzeugt ist. Ich nehme dann einen Zettel und schreibe mir Ihre Namen auf. Ja? // Also es gibt Gründe, das haben wir vom Bürgermeister gehört. Es gibt Gründe, dass wir manchmal die Regierung fragen: "Ja, wieso so und nicht anders? Ich habe viel bessere Ideen". Wunderbar wenn es so ist. Und wunderbar, wenn Sie aus der Mitte der Gesellschaft, aus dem Kreis der Engagierten, dieser positiven Netzwerke heraus diese Frage stellen. Das ist eine lebendige, offene Gesellschaft, die solche Debatten nicht fürchtet. Wir haben es nicht nötig, uns vor dem, was uns als ungeklärtes Problem noch vor den Füßen liegt, weg zu laufen. Menschen, die sich bewährt haben, indem sie Solidarität als eine Lebensform der Gesellschaft entwickelt haben, die laufen nicht einfach weg wegen diffuser Ängste. Ein gutes Beispiel ist dieser Bürgermeister oder viele andere Aktive. Wir können ihm gut zuhören, wenn er die Regierung kritisiert, weil wir an ihm genau merken, er steht nicht irgendwo im Abseits und meckert nur an den gesellschaftlichen Verhältnissen herum. Sondern er beteiligt sich intensiv, bringt seine Gaben ein, und dann hat er jedes Recht der Welt, mit all denen, die über ihm sind, auch kritisch zu sprechen und ihnen kritische Fragen zu stellen. // Jetzt haben wir uns, denke ich, miteinander verständigt. Ja, ich spüre das. Ich weiß, ich habe vorhin schon ein paar Leute getroffen, so eine kleine Blütenlese hier aus Ihrer Gesellschaft. Und ich habe gespürt, ich bin in einem Stück Europa, von dem ich einmal geträumt habe. Ich bin unter Menschen, die sich selber anschauen, und sich fragen: Was kann ich eigentlich tun, um diesen Raum, in dem ich lebe, zu einem lebenswerten und schönen zu machen, zu einem gastfreundlichen? Und ich will die Gelegenheit nutzen, ein herzliches, bürgerschaftliches wie präsidiales Dankeschön zu sagen: all den Lehrerinnen und Lehrern, den Pfarrern und Pfarrerinnen in den Kirchgemeinden, in Diakonien. All den Menschen, die sich sorgen um unser Miteinander, die es gestalten, auch den Menschen, die jungen Leuten in den Sportvereinen beibringen, was Fairness ist und was Regeln sind, all denen, die in irgendeiner Weise aktiv sind. Es ist gut, dass ich Sie erlebe, es ist gut, dass ich dieses Land so erlebe. Und weil ich Sie so erlebe, weiß ich, dass die Probleme, die mit Sicherheit auf uns zukommen, und angesichts derer wir auch mit Sicherheit noch nicht alle Lösungswege wissen, dass diese Probleme uns nicht überwältigen werden. Wir sind die, die sich verpflichtet haben zu stehen und nicht zu fliehen. Und wir haben das Gefühl, genauso soll unser Leben sein. So möchten wir es, auch wenn wir an einen fremden Ort kämen: dass es dort Menschen geben möge, die diese Gesinnung haben. // Indem ich mich vorhin bedankt habe bei den unterschiedlichsten Menschen, bin ich auch bei denen gelandet, die uns - etwa in den Kirchen und in den Schulen - etwas vom Sinn unseres Lebens beigebracht haben. Denken wir daran, das ist eine geprägte Kulturlandschaft. Und zu unserer Kultur gehören nicht nur die Einrichtungen des Wissens, unsere Universitäten, der Kultur, unsere Theater und Museen, gehören auch nicht nur unsere wunderbaren Produktionsstätten, sondern es gehört eine Kultur der Mitmenschlichkeit dazu, die achtsam ist und am anderen nicht vorbei geht, wenn er ohnmächtig und geschlagen am Straßenrand liegt. Viele von uns haben in der Kindheit das Gleichnis vom barmherzigen Samariter gehört. Und sie haben begriffen, dass Barmherzigkeit eine Form des Miteinanders ist. Barmherzigkeit heißt in der Sprache der Politik: Solidarität. Beides hat miteinander zu tun. Und die Gesellschaften der Solidarität sind erwachsener - auf dem Boden eines solchen tiefen menschlichen Wissens, dass Zuwendung und Zueinandergehören der Kern dessen sind, was uns miteinander verbindet. // So kommt eine lange kulturelle, religiöse und politische Tradition zusammen. Und all das hat dazu geführt, dass Sie leben, wie Sie hier leben: als Verbundene und nicht jeder als ein Wolf für den Anderen. Als miteinander Verbundene im Streit und in der Solidarität, in der Gestaltung und in der Geduld. Und so soll es bleiben. Und wenn es so bleibt, dann komme ich wieder und bin wieder dankbar und stolz, dass ich unter Ihnen sein kann.
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Manche von Ihnen sind nicht zum ersten Mal hier. Ihnen allen aber sagt Ihr Land heute auf besondere Weise "Dankeschön". Sie erhalten das Silberne Lorbeerblatt, sie erhalten das, was andere Menschen in Form des Bundesverdienstkreuzes für ihre Verdienste erhalten. Das Silberne Lorbeerblatt ist die höchste staatliche Auszeichnung, die wir für unsere Sportler haben. Und viele von Ihnen haben es schon einmal erhalten: nämlich für den dritten Platz bei einer Weltmeisterschaft - das war schon weit mehr als ein Achtungserfolg. // Jetzt aber sind Sie Weltmeister und Sie sind hier, und wir alle freuen uns darüber. Fußballweltmeister - das ist in allen Ländern, die fußballbegeistert sind, das Allergrößte. Kein Mannschaftstitel zählt mehr als dieser, so populär andere Sportarten auch sein mögen. In den fußballbegeisterten Ländern ist es einfach so: Fußballweltmeister zu werden und zu sein, das ist noch einmal etwas ganz Besonderes, das ist nicht zu toppen. Das kann natürlich in unserem Land überhaupt nicht anders sein. // Dass Spieler, Trainer, Betreuer, der Verband Weltmeister geworden sind, das ist ja nur die halbe Wahrheit, die kleinere Hälfte der Wahrheit sogar. Was ist die ganze? Die ganze Wahrheit ist doch, dass wir uns in Deutschland gefühlt haben, als wären wir alle Weltmeister. Das kann man nun gut oder schlecht finden: Manche wünschen sich, die Gelehrsamkeit oder die besondere Fähigkeit, andere Künste auszuüben, möge dieses allumfassende Wir-Gefühl erzeugen. Aber das erleben wir gerade im Fußball. Darum ist Fußball auch, in diesem Land jedenfalls, immer etwas mehr als nur Sport - eine Gesellschaft lebt auch davon, dass in ihr tatsächlich Wir-Gefühle existieren. Und so eigentümlich es klingt, kann man manchmal, ohne dass man an das Große und Ganze einer Gesellschaft denkt, doch tatsächlich für dieses Große und Ganze der Gesellschaft etwas tun. Das meine ich, wenn ich diese Fähigkeit rühme, ein Wir-Gefühl hier in unserem Land zu erzeugen. // Dies mit dem Wir-Gefühl hat eine lange Geschichte, jedenfalls wenn man älter ist als unsere Helden hier. Ich war 14 Jahre alt, als Deutschland zum ersten Mal Weltmeister wurde, es war in Ihrem Land, Herr Blatter, in der Schweiz - wir Älteren werden das nie vergessen und die Jüngeren kennen das inzwischen auch. 1954 Weltmeister zu werden, das war schon ein großartiges Gefühl. Auch wenn Deutschland getrennt war damals - trotzdem sage ich Deutschland, weil 1954 auch die Menschen in Ostdeutschland sagten,"wir sind Weltmeister geworden". Wir waren damals für jene, die für Deutschland Fußball spielten, und das waren Westdeutsche. Das durfte man im Osten nicht so laut sagen, obwohl es doch von 1956 an eine gesamtdeutsche Olympiamannschaft gab. // So kam es, dass in all den Jahren, in denen in Deutschland kaum oder nur ganz, ganz vorsichtig von der "Nation" gesprochen wurde, ganz selbstverständlich von der "Nationalmannschaft" die Rede war. Im Fußball war die Erinnerung daran, eine Nation zu sein, immer wach geblieben. // Wenn man so will, markieren die Weltmeistertitel der deutschen Nationalmannschaften auch den Weg unseres Landes nach dem Krieg: 1954 wurde allgemein als Chance für Deutschland empfunden, sich internationale Anerkennung zu erwerben, und dass die Deutschen einen Weg entdeckten, auf friedliche und fröhliche Weise ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln. // 1974 entsprach der erfolgsorientierte, vielleicht weniger elegante als pragmatische Fußball, mit dem im Finale Holland geschlagen wurde, der innen- und außenpolitischen Ausrichtung unseres Landes. Übrigens haben damals bei diesem berühmten Turnier bei weitem nicht alle in der DDR den Sieg in der Vorrunde über die Bundesrepublik bejubelt. Denn auch 1974 waren wir im Osten wie selbstverständlich mit Weltmeister geworden, denn - trotz eigener Mannschaft bei der WM und trotz einer eigenen Oberliga - gab es immer so etwas wie "Fußballdeutschland", ein Zusammengehörigkeitsgefühl über die Grenzen hinweg. // Dann 1990: Das war in jeder Hinsicht ein denkwürdiges Jahr. Die Weltmeisterschaft kam genau in dem Moment zwischen der Friedlichen Revolution und dem Vollzug der Deutschen Einheit im Oktober. Was für ein Jahr! Die ganze Welt schaute seit Monaten auf Deutschland und auf das, was sich atemberaubendes bei uns tat. Und der Weltmeistertitel, der letzte, den die alte Bundesrepublik alleine errang, passte genau dazu. // Und nun 2014. Was für ein souveräner Titelgewinn, was für eine überzeugende Leistung, die neidlos auch von allen anderen Gegnern anerkannt wird. Was für eine starke, was für eine sympathische, sportlich und menschlich rundum begeisternde Mannschaft. Zum ersten Mal ist das wiedervereinigte Deutschland Weltmeister geworden: In diesem Jahr feiern wir ein Vierteljahrhundert Friedliche Revolution und im nächsten Jahr ein Vierteljahrhundert Deutsche Einheit - also wieder ein Weltmeistertitel, der einen für unser Land wichtigen Zeitabschnitt markiert. // Wo stehen wir heute? 2014 ist ein Land Weltmeister geworden, das schon seit einiger Zeit zu einem entspannten, zu einem aufgeklärten Patriotismus gefunden hat, sichtbar spätestens seit dem Sommermärchen von 2006. Deswegen dürfen wir uns darüber freuen, dass uns niemand den Titel neidet, und die Welt konnte sich ehrlich mit uns freuen. Das ist vielleicht die schönste Erfahrung mit diesem vierten Weltmeistertitel. Für mich ist dieser vierte Stern ein besonderer. Nicht nur, weil ich mit Ihnen zusammen, Frau Bundeskanzlerin, dabei sein konnte. Aus diesen genannten Gründen leuchtet dieser Stern für mich besonders. Wir haben uns eben erinnern lassen, wie groß die Freude und Begeisterung in unserem Lande war, ohne dass sich überhebliche und falsche Töne in den Vordergrund spielen konnten. Diesmal haben wir mit friedlicher Freude den Titel und Sie, die Mannschaft, gefeiert. // Apropos Mannschaft: Wenn ein Wort in eine andere Sprache übernommen wird, ohne dass man es übersetzt, dann deswegen, weil sich in diesem Wort etwas ganz Besonderes und ganz Eigenes ausdrückt, das man gar nicht richtig übersetzen kann. Und eine solche Übernahme drückt dann oft großen Respekt und tiefe Achtung aus. Darum darf ich Sie und alle im DFB, die für das Auftreten und den Erfolg verantwortlich sind, ruhig mit etwas Dankbarkeit anreden und Ihnen sagen: Sie dürfen auch ein bisschen stolz darauf sein, dass man auf französisch jetzt das deutsche Team einfach "La Mannschaft" nennt und auf englisch "The Mannschaft". // Hier drückt sich Respekt aus vor einer Spielweise, Respekt vor einem Gemeinschaftsgeist und dazu vor einer fein ausgeklügelten Balance zwischen individuellen Stärken und dem Team. Diese in Brasilien unbezwingbare Kombination hat dann zum verdienten Titel geführt. Mit Fußball, der oft meistens begeisternd war, der Freude und Spaß ausgelöst hat und der meilenweit davon entfernt war von einer verbissenen Erfolg-um-jeden-Preis-Mentalität, die meist nur freudlose und verkrampfte und dann auch oft sieglose Spiele bringt. // Wir wissen: Dieser Erfolg kam nicht über Nacht. Er hatte viele Väter. Da ist die seit Jahren verbesserte Jugendarbeit in den Vereinen zu nennen, die konsequente und auch entschiedene und entschlossene individuelle Nachwuchsförderung. Verband und Vereine wissen sich in gemeinsamer Verantwortung - und zwar nicht nur für den Erfolg, sondern auch für die ganze Entwicklung des jungen Menschen. Zu danken haben wir sicher also auch den vielen Jugendtrainern, die überall im Land aktiv sind, die Talente fördern und Talente entdecken. // Was die Mannschaft nun auch schon eine ganze Weile ausmacht, das ist die ganz selbstverständliche Spiegelung der Einwanderungsgesellschaft, die wir längst geworden sind. Was in den Jahren zuvor schon festgestellt werden konnte, das wird nun mit dem Weltmeistertitel erst recht klar: Der Fußball und gerade diese Mannschaft können zeigen, wie die Einheit der Verschiedenen gelingen kann und zu welchen Erfolgen sie dann fähig ist. Wir gehören zusammen und wir gewinnen zusammen - das ist die große Botschaft dieser Mannschaft. // Die Ausschreitungen von Hooligans in den vergangenen Wochen haben gezeigt, dass der Sport einigen Menschen als Feigenblatt für rohe Gewalt dient, manchmal auch für Fanatismus und Hass. Aber unser Sport, nicht nur der Fußball, sondern generell der Sport, kann auch ein Gegenmittel sein und kann eine Atmosphäre fördern, in der Toleranz und Offenheit vorgelebt werden - und zwar von Spielern wie auch von Fans. Deshalb danke ich allen hier im Saal, die sich unermüdlich gegen Rechtsextremismus und Gewaltorgien stark machen. Und vor allem bitte ich die, die das tun, und Sie alle: Setzen Sie dieses Engagement fort! // Liebe Fußballer, wenn Sie mir diese familiäre Anrede erlauben, die Welt schaut auf das, was Sie auf und auch neben dem Platz leisten. Mit dem Titelgewinn 2014 haben Sie sich, Ihren Freunden und Fans, und dem ganzen Land ein bleibendes Geschenk gemacht. Dem großen Buch des Fußballs mit seinen legendären Helden und Mannschaften haben sie ein besonders schönes schwarz-rot-goldenes Schmuckblatt hinzugefügt. // So, wie damals das Team um Fritz Walter und Helmut Rahn 1954 ebenso Geschichte geschrieben hat wie das Team von Franz Beckenbauer und Gerd Müller 1974 und das Team um Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann 1990, gehören auch Sie jetzt in diese ruhmvolle Reihe. // Alle, die die Spiele verfolgt haben, werden sich noch lange an vieles erinnern. An einzelne Szenen, an den Turniersieg, an glückliche Momente, an traurige oder lachende Gesichter, an große Emotionen. Und vielen von uns, die das erlebt haben, werden einige dieser Szenen für immer im Gedächtnis bleiben. Ich freue mich, dass Sie alle hier sind. Und ich freue mich auch nochmal, dass ich persönlich dabei sein durfte, damals in Rio, und die unvergesslichen Augenblicke so hautnah miterleben konnte. Es war und ist schon immer etwas ganz Besonderes, als Bundespräsident Weltmeister zu werden. // Jetzt haben wir genug davon gesprochen, dass wir alle und das Land und somit auch die Bundeskanzlerin, der Bundesinnenminister und der Bundespräsident Weltmeister geworden sind. Indem ich Ihnen, und nicht dem ganzen Land jetzt das Silberne Lorbeerblatt überreiche, wird noch einmal deutlich, wem eigentlich die Ehre gebührt, wer durch seine Leistung zu unser aller Freude Weltmeister geworden ist: Sie sind es, die Mannschaft von 2014, der wir hier und heute noch einmal feierlich, ernsthaft und fröhlich "Danke" sagen: Danke!
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Meine Damen und Herren, aus dem Schloss Bellevue in Berlin wünsche ich Ihnen allen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest. // Millionenfach sagen in diesen Tagen Menschen einander gute Wünsche. Wir möchten, besonders in diesen weihnachtlichen Stunden des Friedens und des Glanzes, dass es allen gut geht, dass möglichst alle begleitet, dass alle beschützt und behütet sein mögen. // Unsere Verwandten, Eltern und erwachsenen Kinder, unsere Freunde und alle, die uns wichtig sind: Viele sehen wir im Laufe des Jahres nur mehr selten. Aber alle, so sagen wir es ihnen, persönlich oder am Telefon, elektronisch oder auf Papier: Allen soll es in diesen Tagen gut gehen. // Es gibt ein tiefes Wissen im Menschen: Gelungenes Leben ist Leben in Verbundenheit mit anderen Menschen. Wir wollen uns angenommen und eingebettet fühlen in Familien oder Wahlfamilien. Hass und Krieg zerstören das Miteinander - Weihnachten aber stärkt die Hoffnung und die Sehnsucht danach, in Frieden und Einklang mit unseren Mitmenschen leben zu können - auch bei Menschen anderer Religionen und auch bei Menschen, die ohne Glauben leben. Wenn dies gelingt, auch im Kleinen, dann sind wir dankbar. Wir wissen ja, wie selten und kostbar die wirklich guten Tage in manchem Leben sind. // Wir wissen: Ein friedliches, glanzvolles Weihnachten ist vielen Menschen nicht beschert. Das war so, seit es Weihnachten gibt. Die da einst nach Bethlehem zogen - sie waren ja arm, statt Haus und Bett mussten sie mit Stall und Futtertrog vorlieb nehmen. Wahrlich keine Idylle! Und nach der Geburt des besonderen Kindes waren sie alsbald auf der Flucht - nur so war das Leben des Kindes zu retten. // Es gibt viele Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen: Krieg und Hunger, Verfolgung und Not. Unsere eigenen Vorfahren haben das alles gekannt. Im 19. Jahrhundert sind sie zu Millionen in die Neue Welt ausgewandert und nach dem Zweiten Weltkrieg mussten Flüchtlinge und Vertriebene sich eine neue Heimat suchen. // Auch heute sind Menschen an vielen Orten der Welt auf der Flucht. Wir denken an das schreckliche Schicksal der Familien aus Syrien, wir denken an die Verzweifelten, die den gefährlichen Weg nach Europa über das Wasser wagen. Wir denken auch an die Menschen, die kommen, weil sie bei uns die Freiheit, das Recht und die Sicherheit finden, die ihnen in ihren Ländern verwehrt werden. // Seit Menschengedenken sind alle Flüchtlinge erfüllt von der Sehnsucht nach dem besseren Leben. Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, kommen nicht mit der Erwartung, hier in ein gemachtes Bett zu fallen. Sie wollen Verfolgung und Armut entfliehen und sie wollen Sinn in einem erfüllten Leben finden. // Machen wir unser Herz nicht eng mit der Feststellung, dass wir nicht jeden, der kommt, in unserem Land aufnehmen können. Ich weiß ja, dass dieser Satz sehr, sehr richtig ist. Aber zu einer Wahrheit wird er doch erst, wenn wir zuvor unser Herz gefragt haben, was es uns sagt, wenn wir die Bilder der Verletzten und Verjagten gesehen haben. Tun wir wirklich schon alles, was wir tun könnten? // Ich bin im letzten Jahr an vielen Orten auf das größte Geschenk gestoßen, das unser Land sich selbst gemacht hat - die Ehrenamtlichen. Sie helfen in beeindruckender Weise bei Naturkatastrophen wie der großen Flut in diesem Sommer. Sie lindern Armut und verhindern Ausgrenzung. Sie kümmern sich um kulturelle Werte, fördern den Breiten- und Behindertensport, verteidigen Menschen- und Bürgerrechte, helfen Menschen, besser zu leben oder begleitet zu sterben. Sie sind das große Geschenk für Deutschland. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie unser Land so lebenswert machen. // An Weihnachten, so geht die Geschichte, verkündeten Engel einst "Friede auf Erden!" Die Engel sind nach dieser Botschaft heimgekehrt. Hier auf Erden sind nun wir Menschen selber damit betraut, diese Verheißung immer wieder in die Tat umzusetzen. Das muss unsere Sache sein: Friede auf Erden - damit die Welt uns allen eine Heimat sein kann. In diesem Sinne lassen Sie uns miteinander Weihnachten feiern!
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Mit großer Überraschung und tiefer Bewegung haben die Bürger in Deutschland erfahren, dass Papst Benedikt XVI. seinen Rücktritt angekündigt hat. // Für diesen historisch höchst seltenen Entschluss sind großer Mut und Selbstreflexion nötig. Beides findet meinen außerordentlichen Respekt. Ich finde in dieser Geste auch den Mann wieder, den ich vor Kurzem erst bei einem langen Besuch persönlich kennenlernen durfte. Sein Glaube, seine Weisheit und seine menschliche Bescheidenheit haben mich tief beeindruckt. // Für uns Deutsche hat dieser Papst eine besondere Bedeutung. Denn dass ein Deutscher die Nachfolge von Johannes Paul II. antrat, war von historischer Bedeutung für unser Land. // In Benedikts Wirken verbinden sich hohe theologische und philosophische Bildung mit einfacher Sprache und mit Menschenfreundlichkeit. Deswegen fanden viele Menschen, nicht nur Katholiken, in seiner Person und in seinen Schriften und Ansprachen Orientierung und Ermutigung zum Glauben. // Papst Benedikt begriff den kritischen und konstruktiven Dialog zwischen Vernunft und Glauben als eine zentrale intellektuelle Aufgabe der Gegenwart - und er selber hat unermüdlich dazu beigetragen. // Benedikt XVI. war als Papst der ganzen Welt verpflichtet, aber er blieb auch im Herzen immer mit seiner Heimat verbunden. Das konnten wir bei seinen Besuchen in Deutschland spüren, vor allem bei seiner Reise nach Bayern. Unvergessen sind aber auch seine Besuche zum Weltjugendtag in Köln, in Berlin oder im Eichsfeld oder in Freiburg. Eindrücklich ist uns auch seine leidenschaftliche und nachdenkliche Rede vor dem Deutschen Bundestag geblieben. // "Deus caritas est - Gott ist die Liebe" - Dieser Titel seiner ersten Enzyklika war Papst Benedikts Überzeugung und feste Orientierung. Dafür ist er ein glaubwürdiger Zeuge. // In Respekt vor seinem Entschluss wünschen wir ihm einen erfüllten und gesegneten Lebensabend.
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Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben mir auch versichert, dass sie auch in anderen Zeiten beständig Hochachtung und Zuneigung zu mir empfunden haben. Und das Wichtige daran ist, dass sie mir Vertrauen entgegengebracht haben.
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Übermorgen ist es siebzig Jahre her, dass der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging - jener mörderische Schrecken, der von Deutschland ausgegangen war. // Der Krieg ging endlich zu Ende, der unseren Kontinent verwüstete, in dem die Juden Europas ermordet wurden, in dessen Verlauf Millionen von Soldaten und Zivilisten starben, in dessen Folge in vielen Ländern Millionen aus ihrer Heimat vertrieben wurden, als dessen Ergebnis Europa, mitten darin Deutschland, ein halbes Jahrhundert geteilt war. // Dieser Krieg endete erst, als die westlichen Alliierten und die Sowjetunion gemeinsam Deutschland zur Kapitulation gezwungen hatten und uns Deutsche damit auch von der Nazi-Diktatur befreiten. Wir Nachgeborenen in Deutschland haben allen Grund, für diesen aufopferungsvollen Kampf unserer ehemaligen Gegner in Ost und West dankbar zu sein. Er hat es möglich gemacht, dass wir in Deutschland heute in Freiheit und Würde leben können. Wer wäre nicht dankbar dafür? // Hier in Schloß Holte-Stukenbrock erinnern wir in dieser Stunde an eines der größten Verbrechen in diesem Krieg: Millionen von Soldaten der Roten Armee sind in deutscher Kriegsgefangenschaft ums Leben gebracht worden - sie gingen an Krankheiten elendig zugrunde, sie verhungerten, sie wurden ermordet. Millionen von Kriegsgefangenen, die doch nach Kriegsvölkerrecht und internationalen Verabredungen in der Obhut der Deutschen Wehrmacht standen. // Sie wurden auf lange Fußmärsche gezwungen, in offenen Güterwagen verschickt, sie kamen in sogenannte Auffang- oder Sammellager, in denen es anfangs so gut wie nichts gab - keine Unterkunft, keine ausreichende Verpflegung, keine sanitären Anlagen, keine medizinische Betreuung -, nichts. Sie mussten sich Erdlöcher graben, sich notdürftig Baracken bauen - sie versuchten verzweifelt, irgendwie zu überleben. Dann wurden sie in großer Zahl zum Arbeitseinsatz gezwungen, den sie, geschwächt und ausgehungert, wie sie waren, oft nicht zu überleben vermochten. // Wenige hundert Meter von hier war das Kriegsgefangenenlager "Stalag 326 Senne". Mehr als 310.000 Kriegsgefangene waren hier. Sehr viele von ihnen sind umgekommen, Zehntausende sind hier begraben. // Was sagen Zahlen? Wenig - und doch, sie geben Auskunft, sie geben uns zumindest eine Vorstellung von dem Schrecken und von der unbarmherzigen Behandlung, die die Sowjetsoldaten in deutscher Gefangenschaft erlitten haben. Wir müssen heute davon ausgehen, dass von über 5,3 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen deutlich mehr als die Hälfte umkam. Millionen Schicksale, Millionen Namen, Millionen Lebensgeschichten. Es waren Russen, Ukrainer, Weißrussen, Kirgisen, Georgier, Usbeken, Kasachen, Turkmenen - Soldaten aus allen Völkern, die damals zur Sowjetunion gehörten. // Wenn wir betrachten, was mit den westalliierten Kriegsgefangenen geschah, von denen etwa drei Prozent in der Gefangenschaft umkamen, dann sehen wir den gewaltigen Unterschied: Anders als im Westen war der Krieg im Osten vom nationalsozialistischen Regime von Anfang an als ein Weltanschauungs- und Vernichtungs- und Ausrottungskrieg geplant - und in der Regel auch geführt, denken wir zum Beispiel an diese schreckliche jahrelange Belagerung Leningrads mit dem Ziel des Aushungerns einer Millionenstadt. Denken wir an die Brutalität gegenüber der Zivilbevölkerung in allen besetzten Ländern, ganz besonders aber in der Sowjetunion. Das geschah bewusst und vorsätzlich und auf ausdrücklichen Befehl Adolf Hitlers. Die Wehrmacht setzte diese Befehle bereitwillig um. Es war der Generalstabschef Halder, der im Mai 1941 formulierte: "Wir müssen von dem Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad". Dementsprechend sollten die Gefangenen behandelt werden, und das ist bei den Völkern der ehemaligen Sowjetunion bis heute in unauslöschlicher Erinnerung. // Als die Sowjetunion sich ganz zu Beginn des Krieges bereit erklärt hatte, über das Rote Kreuz mit dem Deutschen Reich eine Vereinbarung über die Behandlung der Kriegsgefangenen zu schließen, da lehnte Hitler das brüsk ab - und er sorgte dafür, dass seine Ablehnung in Millionen von Flugblättern auch seinen Soldaten bekannt wurde. Denn er hatte ein Ziel, und es war eindeutig: Kein deutscher Soldat sollte glauben, dass er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft überhaupt überleben könnte. Alle sollten bis zum letzten Atemzug kämpfen und sich auf keinen Fall ergeben. Das Schicksal derjenigen seiner Soldaten, die dann doch gefangen wurden, war dem Obersten Befehlshaber vollkommen gleichgültig. // Nun schauen wir auf die andere Seite. Auf der anderen Seite dekretierte Stalin: Wenn ein sowjetischer Soldat gefangen werde, habe er nicht bis zuletzt gekämpft, konnte gleichsam also nur desertiert sein, also irgendwie ein Verrätersein. Deswegen erwarteten bei Kriegsende sehr viele in die Heimat entlassene sowjetische Kriegsgefangene erneute Lagerhaft, oft sogar der Tod. Wir können nur ahnen, wie viele Mütter, wie viele Ehefrauen, wie viele Bräute, wie viele Kinder noch nach Kriegsende vergeblich gewartet haben; und auch wie schwer es für sie war, damals dieser ihrer Toten zu gedenken. // Als Deutsche fragen wir uns aber zuerst nach deutscher Schuld und Verantwortung. Und für uns bleibt festzuhalten, dass der millionenfache Tod derer, die unter der Verantwortung der Deutschen Wehrmacht starben, "eines der größten deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs" gewesen ist. Viele wollten das nach dem Krieg noch sehr lange Zeit nicht wahrhaben. Aber spätestens heute wissen wir: Auch die Wehrmacht hat sich schwerer und schwerster Verbrechen schuldig gemacht. // Aus mancherlei Gründen ist dieses grauenhafte Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen in Deutschland nie angemessen ins Bewusstsein gekommen - es liegt bis heute in einem Erinnerungsschatten. Das mag damit zu tun haben, dass die Deutschen in den ersten Jahren nach dem Krieg vor allem an ihre eigenen Gefallenen und Vermissten gedacht haben, auch an die Kriegsgefangenen, die zum Teil noch bis 1955 in der Sowjetunion festgehalten wurden. // Das mag sicher auch daran liegen, dass die Schreckensbilder von der Eroberung des deutschen Ostens durch die Rote Armee vielen Deutschen den Blick auf die eigene Schuld verstellten. Diejenigen, die wegschauen und sich nicht erinnern wollten, sahen sich dann zudem später durch die Besatzungs- und Expansionspolitik der Sowjetunion und durch die Errichtung einer kommunistischen Diktatur mit Rechtsferne, Unfreiheit und Unterdrückung in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands bestätigt. In der DDR wurde zwar die Erinnerung an das heldenhafte sowjetische Brudervolk groß geschrieben, aber der amtlich verordnete Heldenmythos ließ auf der anderen Seite wenig Raum für die Empathie mit denjenigen, die als Kriegsgefangene in Deutschland keine strahlenden Sieger waren, sondern Opfer, Entrechtete, Geschlagene. // In späteren Jahren haben in Westdeutschland und auch im wiedervereinigten Deutschland die Erinnerung an den Völkermord an den Juden und die beginnende Scham darüber die Auseinandersetzung mit anderen Verbrechen einfach überlagert. // Dabei sind doch die Verbrechen des Nationalsozialismus zutiefst miteinander verbunden. Sie haben alle dieselbe Wurzel: Sie stammen aus der Vorstellung, dass auch unter Menschen nur das Recht des Stärkeren gelte, und dass der Stärkere das Recht habe, über das Lebensrecht der Anderen zu entscheiden, über Wert, über Unwert ihres Lebens. So wurden die Juden, wie die Sinti und Roma ausgesondert, gedemütigt, ermordet, dann die Behinderten oder Homosexuellen. So wurden dann auch die Völker im Osten als "minderwertig" diffamiert, weswegen man mit ihnen ohne Rücksicht auf Humanität und Menschenrechte, auch ohne Rücksicht auf die Regeln des Völker- und Kriegsrechts verfahren dürfe. // Im Protokoll der Besichtigung eines Kriegsgefangenenlagers durch Propagandaminister Goebbels hält ein Regierungsbeamter fest: // "Der Zweck der Fahrt sollte sein, [ ] einmal die in den Wochenschauen gezeigten Untermenschen in Natur vorzuführen. [ ] // Die Fahrt brachte insofern nicht das gewünschte Ergebnis, als die Gefangenen fast durchweg Weißrussen waren und daher durchschnittlich ein durchaus menschliches Aussehen hatten. [ ] // Sie bekommen außerordentlich wenig Beköstigung und haben Tag und Nacht keinerlei Schutz vor dem Wetter. Meines Erachtens werden diese Gefangenen sowieso hinter ihrem Drahtzaun verrecken. [ ]" // Hybris, Allmachtswahn, Herrenmenschentum, Zynismus, das sind die Kennzeichen nationalsozialistischer Ideologie und eben auch nationalsozialistischer verbrecherischer Praxis. // Erschütternd ist immer noch, wenn wir sehen, in wie kurzer Zeit ganz normale Männer und Frauen, einmal mit dieser Ideologie vergiftet, zu Komplizen der Unterdrückungspraxis gemacht werden und manche sogar zu unbarmherzigen Menschenschindern und Mördern werden konnten. // Wir stehen hier und erinnern an dieses barbarische Unrecht und an die Verletzung aller zivilisatorischer Regeln. Wir erinnern daran im Namen der Humanität, im Namen der Gleichheit und der Würde, die unterschiedslos allem zukommt, was Menschenantlitz trägt. Im Namen der Menschenrechte, die uns verpflichten, die uns binden und leiten und für deren Geltung wir eintreten, stehen wir hier. // Wir sind an einer Stätte versammelt, an der auf den ersten Blick kaum etwas das Ausmaß dessen erkennen lässt, weswegen wir hier sind. Gedenksteine markieren Gräberreihen, die längst von Gras bewachsen sind. Es scheint so, als habe die vergangene Zeit fast jede sichtbare und fühlbare Erinnerung an das ausgelöscht, was hier einst Menschen Menschen angetan haben. // So wie wir hier in Schloß Holte-Stukenbrock unsere Erinnerung und unser historisches Gedächtnis anstrengen müssen, damit wir auf dieser Grasfläche einen Schreckensort für hunderttausende Menschen erkennen können, so geht es uns wohl überhaupt mit dem Eingedenken vergangenen Leids: Was spurlos verwehen sollte, das rufen wir in unser Gedächtnis. Wenigstens vor unserem inneren Auge soll in Umrissen noch einmal aufscheinen, was hier furchtbare Wirklichkeit war, was uns durch Fotos, Statistiken, Karteikarten, Erzählungen, Augenzeugenberichte unabweisbar und unwiderlegbar sagt: Das ist hier geschehen, mitten in Deutschland. Und es ist ja nicht irgendwie"geschehen". Es wurde "gemacht", es wurde "verübt", planmäßig und mit bösem Kalkül und ewig unfassbar. Von Menschen, mit denen wir Sprache, Herkunft und Nationalität teilen, von Menschen, deren Verbrechen heute Teil unserer Geschichte sind. // Wir müssen unseren Willen anstrengen, um die Wahrheit auszuhalten, um nicht immer unwillkürlich zu denken: Das kann doch unmöglich wahr sein - das, was hier im "Stalag 326" und an hunderten von anderen, über ganz Deutschland verteilten Orten menschenmöglich war -, und was hier aber doch tatsächlich stattgefunden hat. // Wir müssen aber nicht nur unseren Verstand anstrengen, nicht nur unser Vorstellungsvermögen aktivieren und unsere historischen Kenntnisse erweitern. Wir müssen - zuerst und zuletzt - auch unser Herz und unsere Seele öffnen für das, was wir kaum glauben wollen. Es geht um eine wirkliche Empathie, ein wirklich bewegendes, unser Inneres, unser Herz, unsere Seele bewegendes Gedenken. // Ich danke heute ganz ausdrücklich allen dafür, die sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten für ein solches immer neues Bewusstmachen und Einfühlen eingesetzt haben. Es waren ehrenamtlich Engagierte, die Spuren ausfindig gemacht und Erinnerung wachgehalten haben. // Damit diese Erinnerung nicht verwelkt, darum gab und gibt es die Initiative "Blumen für Stukenbrock", darum gibt es jetzt, dank unermüdlicher, überwiegend ehrenamtlicher Initiative die Dokumentationsstätte. Es gibt einen vorbildlich engagierten Förderverein, kundige Führungen und Ausstellungen. Angehörige von Opfern, die von weit her kommen und nach Spuren der Erinnerung an ihre Väter oder Großväter suchen, sie werden liebevoll betreut und begleitet. // Einer, der selber als Gefangener hier war, Leo Frankfurt, ist heute hier und wird gleich noch zu uns sprechen. Es bewegt mich sehr, dass Sie hier sind, Herr Frankfurt. Es ist so etwas wie ein gnädiges Geschenk an uns, es beschämt uns und es beglückt uns gleichzeitig. Danke! // Und es sind unter uns Mitglieder der Familie Basanov, deren Vater, Schwiegervater und Großonkel Basan Erdniev hier Lagerhäftling war und hier begraben ist. Wir haben eben kurz inne gehalten an der Stelle, an der Sie sich erinnern an Ihren Vater. Auch für Ihr Kommen, liebe Familie Basanov, bedanke ich mich und freue mich sehr, dass Sie mich an diesem Tag begleiten und unter uns sind. // Zu den Initiativen, die hier wertvolles Engagement beweisen, gehört auch die Geschichts-AG des Gymnasiums Schloß Holte-Stukenbrock. Es gibt das Anne-Frank-Projekt und das schulübergreifende Theaterprojekt. Alle diese jungen Menschen haben die Aufgabe übernommen, die Erinnerung weiter zu tragen. Das gilt auch für die Polizeischüler, die hier ausgebildet werden, und die sich sehr genau bewusst sind, was die Geschichte dieses Ortes bedeutet. Und gekommen sind heute auch junge Soldaten der Bundeswehr, für die historisches Bewusstsein selbstverständlich ist. // Es gab und gibt, dank der freiwilligen Initiativen hier und an anderen, ähnlichen Orten in unserem ganzen Land, diesen hartnäckigen, alltäglichen Widerstand gegen das Vergessen. Das ist gut so, das gehört zu unserer Kultur. So sind heute auch Vertreter der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste hier, auch Vertreter von Gegen Vergessen/Für Demokratie und vom Deutsch-Russischen Museum Karlshorst. Ihnen und den Vielen, die in unserem Land selbstlose Erinnerungs- und Gedenkarbeit leisten, danke ich heute und hier ganz ausdrücklich. Sie helfen bei einer Aufgabe, die sich auch siebzig Jahre nach Kriegsende noch stellt: auch das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen aus dem Erinnerungsschatten heraus zu holen. // Nicht weit von hier stehen wir vor dem Gelände, das Tod und Verderben gebracht hat, auf dem die Schreie, das Seufzen und das Stöhnen der geschundenen Leiber und Seelen unsichtbar eingeschrieben bleiben. // Dies ist einer der Orte, an denen wir schmerzhaft und intensiv empfinden, dass die Toten für die Lebenden eine Verpflichtung sind. Sagen wir also heute, siebzig Jahre nach dem Ende des Krieges, "Ja"zu dieser Verpflichtung. Versprechen wir uns gegenseitig, dass wir, was an uns ist, tun, um ein menschenwürdiges und friedliches Leben für alle zu ermöglichen und zu beschützen.
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Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich.
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Unsere Welt hat eine Jahrhundertgestalt verloren. Mit Trauer und tiefer innerer Bewegung nehmen wir Abschied. Wir nehmen Abschied von Nelson Mandela. Mandelas Wirken wird für alle Menschen, die sich für Freiheit, für die Menschenrechte und die Menschenwürde einsetzen, Inspiration und Quelle der Ermutigung bleiben. // Wir schauen zurück auf einen beeindruckenden Lebensweg: Was für eine Persönlichkeit! Nelson Mandela verband kämpferischen Elan mit Prinzipientreue, Liebe zur Freiheit mit Achtung vor dem Recht und die Suche nach friedensstiftenden Kompromissen mit dem Beharren auf historischer Wahrheit. // Sein Kampf gegen die Unmenschlichkeit des Apartheidregimes wird unvergessen bleiben. Ein freies Südafrika - das war sein Traum! Er wurde zum Architekten der modernen Regenbogennation. // Unvergessen auch seine Rolle im Versöhnungsprozess: Trotz der demütigenden Erfahrung von 27 Jahren Haft auf Robben Island fand er den Mut und die Kraft, nicht den Weg des Hasses zu gehen. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission, die er vorschlug, erinnerte die Menschen daran, dass nicht Rache, sondern Wahrheit, Recht und Vergebungsbereitschaft inneren Frieden befördern und Zukunft eröffnen. // Nelson Mandela erkannte, dass auch die Unterdrücker selber der Befreiung bedürfen. In seinen Worten: "Ein Mensch, der einem anderen die Freiheit raubt, ist ein Gefangener des Hasses". Er war der Überzeugung: "Wenn Menschen zu hassen lernen können, dann können sie auch gelehrt werden zu lieben, denn Liebe empfindet das menschliche Herz viel natürlicher als ihr Gegenteil". // Sein Vermächtnis ermutigt Menschen weltweit, den Kampf für Demokratie, Freiheit und Recht nicht aufzugeben. // Ich bin - zusammen mit unzähligen Menschen in Deutschland - dankbar dafür, was Nelson Mandela dieser Welt geschenkt hat.
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Vielleicht sollte ich mit einer kleinen Geschichte beginnen um Ihnen zu verdeutlichen, warum ich gerne heute rede und eine Rede über die Rolle und die Freiheit der Presse so wichtig ist. Als meine Großmutter in den 1960er-Jahren starb, wollte ich das Psalm-Wort "Meine Zeit steht in Deinen Händen" in der Todesanzeige unterbringen. Es gelang mir nicht. Der Verlagsleiter der in Rostock erscheinenden Ostsee-Zeitung erklärte mir, man mache eine kommunistische Zeitung. Da sei ein solcher christlicher Text nicht möglich. Selbst die Todesanzeige wurde zensiert. // Das ist lange her, und diese Zustände sind bei uns überwunden. Aber es geht mir durch den Kopf, wenn ich heute über die Freiheit der Presse rede. // Der Deutsche Presseclub hat mich zu seinem 60-jährigen Bestehen eingeladen. Was für ein schöner Anlass, um über die Freiheit der Presse, über die Verantwortung der Presse, über Meinungsfreiheit und das Verhältnis von Politik und Journalismus zu sprechen. // Darüber soll aber nicht der Anlass des heutigen Abends aus dem Blick geraten: Ich gratuliere dem Deutschen Presseclub auf das Herzlichste zu seinem 60-jährigen Bestehen. Meine Gratulation enthält Wünsche für Sie und Ihren Club. Meine Gratulation enthält aber auch Wünsche, die wir alle - mündige Staatsbürger wie Politiker - an Sie, an die Presse insgesamt haben. Denn so stolz wir auf unsere vielfältige Presselandschaft schauen: Es gibt auch Dinge zu besprechen, die uns allen weniger gefallen können. Dazu will ich nachher noch kommen. // Bei einer Feier zu Ihrem 60-jährigen Bestehen schwirren Anekdoten durch den Raum. Die machen den Club auch aus, aber nicht nur. Das Wichtigste ist, dass der Deutsche Presseclub der Presselandschaft in der noch jungen Bundesrepublik einen elementaren Baustein hinzugefügt hat - das vertrauliche Gespräch zwischen Politik und Presse. Der Deutsche Presseclub etablierte einen Ort für das Hintergrundgespräch, einen Ort für das legendäre "Unter drei". // Ihre "Clubregeln" sagen: "Über Club-Veranstaltungen darf nicht berichtet werden. Ausnahmen von dieser Regel werden vom amtierenden Vorsitzenden bekanntgegeben." // Es mag für Außenstehende schwer verständlich sein, dass Journalisten sich in einem Club zusammenfinden, über dessen Veranstaltungen sie nicht berichten dürfen. Ihre Hauptaufgabe ist es doch gerade, zu berichten. Aber hinter jeder Nachricht stehen Überlegungen, Strategien. Hinter der Nachricht stehen Akteure, die ihr Anliegen befördern, oder auch die Strategien Dritter durchkreuzen wollen. Wenn Sie Politiker in Ihren Club einladen, geht es Ihnen genau darum: Sie wollen Zusammenhänge und Haltungen besser verstehen. Sie wollen wissen, wie es zu dieser oder zu jener Entscheidung kommt, was die Protagonisten bewegt. // Sie müssen es wissen, denn ohne dieses Hintergrundwissen können Sie politische Prozesse nicht vollständig erfassen, nicht profund genug analysieren und kommentieren. Und das wiederum erwartet man von Ihnen: Dass Sie mit Ihrer Analyse, mit Ihrem Kommentar einen Diskussionsbeitrag liefern, mit dem die Leser, Zuhörer und Zuschauer Ereignisse und politische Akteure besser einschätzen können. Dafür muss man ja Ihren Kommentarstandpunkt nicht teilen. Aber die Menschen wollen Ihren Debattenbeitrag. Sie unterstützen Orientierung und Urteilsfähigkeit der Vielen. Es gibt nicht so viele Aufgaben, die schöner und reizvoller wären. Ich darf Ihnen also auch dazu gratulieren. // Wenn wir heute auf unsere Presselandschaft schauen, können wir jederzeit darüber reden, ob wir uns gut informiert fühlen, ob das, was wir im Fernsehen sehen oder was morgens aus dem Autoradio schallt, das ist, was dem Informationsauftrag entspricht. Es gibt fabelhafte Zeitungen, gute Online-Medien und es gibt leider auch andere. // Aber, ob gut, ob weniger gut, spielt in einer Hinsicht keine Rolle: Der Artikel 5 unseres Grundgesetzes schützt die Presse und ihre Freiheit. Nehmen Sie es als eine Garantie für Ihre Arbeit. Der Staat und die Bürgergesellschaft wollen die offene Diskussion, wollen die Argumente für und wider. Und um sich ein Urteil bilden zu können, braucht es auch Erklärungen und Hintergründe. In einer freien und unabhängigen Presse finden die Bürgerinnen und Bürger sie. Das ist ein Grund, warum wir die Freiheit der Presse schützen. Ein anderer Grund für den besonderen Schutz Ihrer Arbeit ist die Erwartung an die Kontrollfunktion. Bürgerinnen und Bürger wünschen sich, dass die politisch Handelnden integer sind und sich voll und ganz dem Gemeinwohl verpflichten. Aber sie können nur schwer kontrollieren, ob es so ist, wie sie es erhoffen. // Es gehört zu Ihren Aufgaben, die politischen Abläufe und die Akteure zu kontrollieren und zu kritisieren. Sie verschaffen auch Gegenargumenten öffentliches Gehör. Und das hat Folgen: Lobbygruppen müssen damit rechnen, dass ihre Einflussnahme kritisch beleuchtet wird. Ein Minister muss damit rechnen, dass seine Erklärung mit der von vor einem Jahr verglichen wird. Der Oppositionspolitiker kann niemals sicher sein, dass seine 180-Grad-Wenden unkommentiert bleiben. Sie recherchieren und Sie kritisieren Staat, Gesellschaft, Parteien oder Organisationen. Nicht aus Freude am Schwarzmalen, sondern weil es Ihre Aufgabe ist. // Zur Berichterstattung, zu fairer Information, darf dabei durchaus auch die Vermittlung dessen gehören, was gelungen ist! Aber öffentliche Kritik schafft Kontrolle über die kritisierten Zustände. Schon die Veröffentlichung - manchmal auch die Furcht davor - kann Folgen haben, kann zu Verhaltensänderungen führen. Die Republik kennt genügend Beispiele. // Man bezeichnet Ihren Berufsstand deshalb auch als die vierte Gewalt im Staat. Sie sind Teilnehmer am politischen Prozess, Sie nehmen in der Meinungs- und Willensbildung eine wichtige Stellung ein - und übernehmen zugleich auch eine sehr große Verantwortung. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie dieser Verantwortung gerecht werden. Sie sind nicht nur frei von staatlichen Eingriffen, von Zensur, Sie sind ebenso frei in Ihrem Ja zu dieser Verantwortung. Sie ist Teil unserer tagtäglich gelebten Pressefreiheit. Sie ist uns selbstverständlich, gehört einfach zu unserer Demokratie. // Schauen wir allerdings auf die Alltagswirklichkeit im Medienbetrieb, so ist durchaus nicht alles in Ordnung. Es gibt durchaus auch Situationen, in denen Ihre Arbeit behindert wird. Es gibt Fehlverhalten und es gibt vermeintliche Sachzwänge. Darüber müssen wir offen reden. Bezogen auf das Ethos von Journalisten könnten wir als erstes fragen: Können Sie Ihren Leserinnen, Lesern, Zuhörern, Usern, Zuschauern, können Sie den Bürgerinnen und Bürgern versichern, dass Sie sich Ihrer Verantwortung immer bewusst sind bei Ihrer täglichen Arbeit? Arbeiten Sie an jedem Tag des Jahres daran, mit Ihren Artikeln, Beiträgen und Kommentaren den politischen Diskurs, von dem unsere Demokratie lebt, zu befördern und zu bereichern? Können Sie guten Gewissens versichern, dass Ihre Recherchen immer so tief sind, dass Ihre Veröffentlichungen und Kommentare die Sachkenntnis atmen, die den Themen gerecht wird? Was bedeutet Ihnen Fairness? Darf man darauf vertrauen, dass es keine Kumpeleien, keine Kumpaneien mit den Mächtigen gibt? Sehen Sie Ihre Arbeit jederzeit so selbstkritisch wie Sie es von denen erwarten, die Sie kritisieren? // Lassen Sie uns einen Blick werfen auf die Bedingungen, unter denen Journalisten mitunter zu arbeiten haben; eine heile Medienwelt existiert doch wohl eher nicht! Wo einzelne Medien eine Monopolstellung einnehmen, kommt die Meinungsvielfalt schnell unter die Räder. Aber auch ökonomische Zwänge setzen der Pressefreiheit im Alltag heftig zu. Wenn der Kostendruck den Redaktionsalltag bestimmt, wenn die gerade mühsam akquirierte Anzeige den redaktionellen Text auf der Seite halbiert oder den Kommentar aus dem Blatt kickt, werden tiefe Recherche, sachkundige Berichterstattung und ausgewogene Kommentierung schnell zu Wunschdenken. // Und jeder von uns kennt auch Journalisten, die wie Kumpane agieren, die sich zuweilen mit Politikberatern verwechseln und damit alles andere als unabhängig sind. Wir kennen auch Presseberichte, die fahrlässig Beihilfe zu Politikverdrossenheit und Demokratiemüdigkeit leisten. // Auch kritische Berichterstattung darf doch Positives wahrnehmen, muss zum Beispiel die sogenannten Hinterbänkler, die in den Ausschüssen versuchen, auch die trockensten Sachverhalte zu meistern, die sich auf die Sitzungen intensiv vorbereiten und so parlamentarische Entscheidungen erst möglich machen, würdigen können. // Diese Kärrnerarbeit der Demokratie scheint keine Schlagzeile wert zu sein. Aber darf sie deshalb einfach aus der Berichterstattung herausfallen beziehungsweise bestenfalls ironisch kommentiert werden? // Ich bin mir dennoch sicher und will darauf vertrauen, dass die allermeisten Journalistinnen und Journalisten ihre Aufgabe als Chronisten und Beobachter der Politik sehr ernst nehmen und nach bestem Wissen und Gewissen ausfüllen. Ihre Recherchen sind nicht immer angenehm, Ihre Kommentare nicht immer bequem, aber sie atmen Sachkenntnis und Sorgfalt. Das ist keine Ausnahme sondern Regel. Und darüber darf man sich dann auch einmal freuen und dankbar sein! // Journalisten bekommen Feedback auf ihr Tun. Leserbriefe. Neu-Abos. Abo-Kündigungen. Sie werden angerufen - nicht nur aus Pressestellen. Man spricht Sie auf der Straße an, in der Parlamentskantine. Im Internet wird der Like-Button gedrückt - oder auch nicht. Man könnte auch sagen, Ihre Arbeit wird wahrgenommen und in gewisser Weise auch kontrolliert. Gut so. // In Deutschland gibt es ein außerordentlich dichtes System von Anerkennung einerseits, Kontrolle und Sanktion andererseits. Darin zeigt sich, dass es uns nicht einerlei ist, von welcher Qualität unsere Presse ist. // Und deshalb wollen wir diese auch würdigen. In unserem Land werden viele Journalistenpreise verliehen. Einige können es in Sachen Renommee mit einer hohen Auszeichnung im Sport aufnehmen. Aber zur Kontrolle Ihrer Arbeit gehört nicht nur das herausgehobene Lob für Gelungenes. Sie sehen sich auch mit Sanktionen konfrontiert für Misslungenes und besonders für Regelverstöße. // Hinzu kommt: Wo Regeln verletzt werden, wo die Presse behindert oder gar belogen wird, aber auch wo der Anspruch auf faire und wahrheitsgemäße Berichterstattung nicht eingelöst wird, wo die Privatsphäre verletzt wird, wo neben journalistischem Spürsinn Jagdinstinkte treten, greifen die Gesetze, auch die Pressegesetze. Das ist gut zu wissen. Aber es ist fast noch besser zu wissen, dass sich die Presse mit dem Deutschen Presserat, mit Satzungen und Kodizes ihrerseits Instrumente zur Selbstkontrolle geschaffen hat, dass Sie eigenverantwortlich die Regeln überwachen und dass die Systeme der Selbstkontrolle anschlagen. // Bundespräsident Gustav Heinemann nahm am 12. Dezember 1973 den von den Presseverbänden beschlossenen Pressekodex entgegen. Darin verpflichten Sie, die deutschen Journalisten, sich zur Achtung vor der Wahrheit, zur Wahrung der Menschenwürde und zur wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit. Sie verpflichten sich darin zur journalistischen Sorgfalt, zur Trennung von Werbung und Redaktion. Sie geben den Bürgerinnen und Bürgern die Zusicherung - und nicht nur so nebenher - dass Sie sich Ihrer Verantwortung als vierter Gewalt sehr wohl bewusst sind und danach arbeiten. // Indem Sie sich solche Standards setzen, indem Sie sich selbst als wahrhaftige Beobachter definieren, indem Sie in Ihrer täglichen Arbeit beweisen, dass Sie unabhängig und hartnäckig recherchierend den politischen Prozess begleiten, sind Sie bei aller Unabhängigkeit auch Teil eines politischen Gesamtsystems, das Ihnen mit der Sicherung der Pressefreiheit erst den Freiraum garantiert, den Sie für Ihre Arbeit brauchen. // Fragen wir zum Schluss noch einmal nach der Rolle der Institution, deren Jubiläum wir heute feiern. Selbst Ihnen, den Mitgliedern des Deutschen Presseclubs, wird es mitunter schwer fallen, politische Entscheidungen einzuordnen. Politik ist in aller Regel ein sehr komplexes Gebilde, ein kompliziertes Geflecht aus Interessen, Sachzwängen und Personen. // Das haben auch die Gründer des Deutschen Presseclubs gesehen und deshalb ganz bewusst einen Ort geschaffen, an dem es eben nicht um die Sensation, nicht um die Nachricht als solche, sondern um die Zusammenhänge hinter der Nachricht geht. // Nur scheinbar besteht ein Widerspruch zwischen der Vertraulichkeit im Hintergrund und der Transparenz, die die Bürgerinnen und Bürger erwarten dürfen. Ich glaube im Gegenteil, dass es auch der Vertraulichkeit im Hintergrundgespräch bedarf, um mehr Transparenz in politische Abläufe und Entscheidungswege zu bringen. // Gerade weil Ihre Gesprächspartner wissen, dass nicht jeder Satz am kommenden Tag die Morgennachrichten eröffnet, sprechen sie mit Ihnen offen und ernsthaft über Politik und deren Hintergründe. Sie wiederum brauchen diese Offenheit, um den politischen Prozess kundig begleiten zu können. Sie brauchen diese Offenheit, um ihn gegebenenfalls auch kritisch kommentieren zu können. Sie erkennen leichter, wem Sie vertrauen können, wem die Öffentlichkeit etwas zutrauen darf. // Die Politik braucht derartige Begegnungen ebenfalls, um ihr Handeln besser erklären zu können. Und das wiederum wollen mündige Staatsbürger bekommen: eine Erklärung für Politik und ihre Auswirkungen. Denn ohne dass Politik erklärt wird, schwindet über kurz oder lang die Akzeptanz für Politik, für Politiker und letztlich schwindet die Akzeptanz für unsere Demokratie. Indem unsere Presse dazu beiträgt, Politik zu analysieren, zu erklären, zu kommentieren und auch zu debattieren, indem unsere Presse den Argumenten dafür und den Argumenten dagegen Gehör verschafft, indem unsere Presse zum Meinungsstreit beiträgt, trägt sie ganz selbstverständlich und in gewichtiger Weise bei zum Funktionieren unserer Demokratie. // Das ist gut und das soll so bleiben. Noch einmal gratuliere ich dem Deutschen Presseclub, der seit 60 Jahren mit dafür sorgt, dass wir eine freie, eine informierte und eine gute Presse haben. // Herzlichen Glückwunsch!
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Vor genau vier Wochen - einige haben mich schon darauf angesprochen - stand ich auf dieser Bühne. Damals feierten wir den Jahrestag der friedlichen Wiedervereinigung unseres Landes. Ein festliches Ereignis - ähnlich wie heute. Denn heute ist ein besonderer Tag, weil wir eine Organisation feiern, die nach Jahrzehnten der Teilung in Ost und West 1991 selbst eine Wiedervereinigung erlebt hat. Eine Organisation, die über 150 Jahre hinweg Deutschland und die Deutschen durch ihre so wechselvolle Geschichte begleitet hat: das Rote Kreuz. // Ein rotes Kreuz auf weißem Grund steht für Schutz und Hoffnung in Zeiten der Not. Es steht für den Schutz von Schwachen und Bedürftigen. Es ist eines der bekanntesten - und bemerkenswertesten - Symbole, die es überhaupt gibt. Denn am Anfang der Geschichte der Bewegung des Roten Kreuzes stand das Mitgefühl eines Mannes für das Leid der Soldaten im 19. Jahrhundert, als der Krieg - an der Krim und schließlich in Oberitalien - nach Europa zurückgekehrt war. Die Schlacht von Solferino im Jahr 1859 und ihre über 40.000 Verwundeten und Toten erschütterten den Genfer Geschäftsmann Henry Dunant so sehr, dass er sofort Hilfsmaßnahmen für die verwundeten Soldaten in die Wege leitete. Immer wieder begründete er seinen Einsatz mit den italienischen Worten: tutti fratelli - wir sind doch alle Brüder! Aus diesem Zusammengehörigkeitsgefühl entstand dann eine neue Bewegung, die beispielhaft für das steht, was wir heute humanitäre Hilfe nennen. // Natürlich gab es dafür Vorzeichen und Vorläufer: Dass verwundete Soldaten des Schutzes bedurften, diese Vorstellung hatte sich bereits Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelt. Aber mit dem Rotkreuzgedanken setzte Henry Dunant entschlossen dem Grauen des Krieges tätige Mitmenschlichkeit und christliche Nächstenliebe entgegen. Die Rotkreuzbewegung steht so nicht nur für die beflügelnde Kraft des Mitgefühls, sondern auch für die Macht eines Einzelnen. Und diese Kraft verbreitete sich aus Genf in ganz Europa und später in der Welt. // Schon im November 1863 - vor 150 Jahren also - wurde der erste Rotkreuzverein auf deutschem Boden, hier in Stuttgart gegründet: der Württembergische Sanitätsverein. Deshalb sind wir hier versammelt, um diese wirkmächtige Idee, die auch in unserem Land sich so kraftvoll entfaltet hat, zu würdigen: Tutti fratelli, alle sind Brüder - e sorrelle, und Schwestern! Natürlich! Ja, gerade hier in Deutschland knüpfte die Rotkreuzbewegung auch an die Tradition der Frauenvereine aus der Zeit der Befreiungskriege an. // In Deutschland hat das Rote Kreuz einen historischen Beitrag dazu geleistet, dass sich eine bürgerliche Gesellschaft entwickelte, die ihre Geschicke selbst in die Hand nahm und nicht alles dem Staat überließ. Das Deutsche Rote Kreuz steht damit in einer Reihe mit anderen Institutionen des bürgerschaftlichen Engagements, der bürgerschaftlichen Selbstorganisation: den freien Wohlfahrtsverbänden, den freien Gewerkschaften und den eigenständigen Industrie- und Handelskammern. // Gerade mit den Erfahrungen der deutschen Vergangenheit erkennen wir heute den Wert eines freien zivilen Mitgliederverbands für unsere Demokratie: Nach der "Gleichschaltung", wenn wir an die NS-Zeit erinnern, und auch nach der Freiheitseinschränkung - und ich sage dies trotz einiger innerer Freiräume - in der DDR wurde im wiedervereinigten Deutschland das ganze Rote Kreuz ein aktives Bündnis freier, verantwortungsbewusster Bürger. // Tätig werden, statt untätig zu verharren - die Dinge in die Hand nehmen, statt sie klaglos hinzunehmen - das ist die Handlungsmaxime des Deutschen Roten Kreuzes: Ob in der Pflege oder in der Betreuung älterer Menschen, in der sozialen Arbeit mit Jugendlichen oder in der Beratung von Zugewanderten - das Deutsche Rote Kreuz ist für alle da. Vielen begegnet es bei Erste-Hilfe-Kursen oder bei freiwilligen Blutspenden. Es leistet Notfallhilfe und Katastrophenschutz. Ein Beispiel: Als die Flüsse in diesem Jahr erneut über die Ufer traten und große Teile Deutschlands überschwemmten, da war das Deutsche Rote Kreuz wie selbstverständlich zur Stelle. Damit trägt das Rote Kreuz dazu bei, dass wir uns sicher fühlen. Wir wissen: Ich erhalte Hilfe in der Not oder in der Krise. So stiftet das Deutsche Rote Kreuz gesellschaftlichen Zusammenhalt und ist zu einem Markenzeichen für die soziale Dimension in unserem Land geworden. // Welchen Stellenwert das Deutsche Rote Kreuz hier hat, das zeigt uns auch die Zahl seiner Mitglieder: fast vier Millionen sind es. Besonders freue ich mich darüber, dass sich so viele Bürgerinnen und Bürger im Roten Kreuz ehrenamtlich engagieren - es sind über 400.000. Ihnen, den Ehrenamtlichen, möchte ich meinen besonderen Dank aussprechen. Als Bürger helfen Sie Bürgern. Sie sind stets dort zur Stelle, wo Sie gebraucht werden. Eine vitale Bürgergesellschaft lebt von diesem Engagement. // Das Deutsche Rote Kreuz spielt, auch dies sei erwähnt, eine bedeutende Rolle für das Gesundheits- und Sozialwesen. Es betreibt Krankenhäuser, Kindertagesstätten und Pflegeheime, steht dabei im wirtschaftlichen Wettbewerb mit anderen und bringt seine Stimme ein in die Diskussionen, wie unser Sozialstaat auch künftig jedem medizinische Versorgung auf dem Stand der Wissenschaft und menschenwürdige Pflege garantieren kann. Das bedeutet für eine Organisation wie das Rote Kreuz auch besondere Herausforderungen - nämlich das Gemeinnützige und das Ehrenamtliche in eine Balance mit dem Geschäftlichen und den Hauptamtlichen zu bringen. Das setzt ein klares Leitbild voraus und Transparenz - wie Sie beim Deutschen Roten Kreuz sich das vorgenommen haben. Bei Ihrem Wirken für das Soziale in unserem Land helfen Sie so, die ideellen Werte des Deutschen Roten Kreuzes zu bewahren. // Weltweit ist das DRK humanitärer Botschafter unseres Landes. Als ich vor vier Wochen hier in diesem Saal sprach, habe ich auch über die Verantwortung Deutschlands in der Welt geredet. Dass das wiedervereinigte Deutschland als international angesehener und verlässlicher Partner gilt, dazu hat übrigens auch die Arbeit des Deutschen Roten Kreuzes einen wichtigen Beitrag geleistet. // Humanitäre Hilfe - das bedeutet, mit Henry Dunant im Kern daran zu glauben, dass wir im Stande sind, die Welt aus eigener Kraft zu verändern, dass wir diese Welt zu einem besseren Ort machen können. Heute geht es in der internationalen Politik nicht mehr nur um die Sicherheit von Staaten. Es geht auch um die Sicherheit des Einzelnen oder von den Vielen. Das ist eine wesentliche Errungenschaft der Weltgemeinschaft. Und wir sollten es ruhig aussprechen: Es ist ein Erfolg auch unserer Wertegemeinschaft, es ist auch ein Erbe der europäischen Aufklärung in einer Welt, die entgegen mancher Erwartung nach 1989 nicht friedlicher geworden ist. Tatsächlich erleben wir seither doch eine Fülle neuer Konflikte: zunehmend nicht nur zwischen Staaten, sondern innerhalb von Staaten zwischen unterschiedlichen Interessengruppen oder politischen, ethnischen und religiösen Gruppierungen. Einzelne fragile Staaten können die Sicherheit ihrer eigenen Bürger überhaupt nicht mehr gewährleisten. Oftmals haben sie auch gar kein Interesse daran. Dies stellt die weltweite humanitäre Hilfe vor ganz neue Herausforderungen. // Was das bedeutet, das habe ich auch bei meiner Begegnung mit dem Präsidenten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, Peter Maurer, erfahren. Das Internationale Komitee mit seinem ganz besonderen Mandat im Völkerrecht ist ein unverzichtbarer Partner der Bundesregierung in ihrer humanitären Hilfe - denken wir allein an die humanitäre Krise in Syrien. Deutschland gehört dort zu den größten Geldgebern und arbeitet eng mit dem Roten Kreuz zusammen. // In Syrien wie an vielen anderen Brennpunkten müssen wir uns fragen: Wie schaffen wir ein Umfeld, in dem Frieden möglich ist und in dem die Ursachen von Gewalt und damit von individuellem Leid verschwinden oder doch zumindest eingehegt werden? // Durch seine Prinzipien steht das Rote Kreuz beispielhaft für gelungene internationale Kooperation - nicht nur über Landesgrenzen hinweg, sondern auch zwischen den Weltreligionen. Die Rotkreuz- und die Rothalbmondgesellschaften genießen gleiche Rechte und Pflichten und sind in vielen Krisenregionen die einzigen Organisationen, die von allen Konfliktparteien anerkannt und respektiert werden. // Es ist entscheidend, dass das Rote Kreuz - ebenso wie der Rote Halbmond - auch weiterhin als Schutzsymbole akzeptiert werden, die eine unüberwindbare Grenze für Gewalt und Aggression darstellen. Übergriffe, welcher Art auch immer, auf Mitarbeiter des Roten Kreuzes können wir nicht hinnehmen. Nur wenn dieser Schutz gewährleistet ist, können Hilfsorganisationen ihrer Aufgabe nachkommen. Nur dann kommt eben die Hilfe bei den Bedürftigen an. Die Mitarbeiter des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds setzen Leib und Leben aufs Spiel, um anderen Menschen zu helfen und das verdient doch unsere Unterstützung - und zwar unsere volle Unterstützung. // Nun könnte man sagen: Der humanitäre Gedanke, wie wir ihn heute kennen, hat sich in Europa entwickelt, auch weil der Kontinent so zahlreiche und so grausame kriegerische Auseinandersetzungen erlebt hat. Die Staaten Europas haben sich nach diesem schmerzvollen Weg miteinander versöhnt. Humanitäre Hilfe war nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges wesentlich für den Aufbau des Kontinents - das Rote Kreuz hat einen besonderen, einen ganz besonders "menschlichen" Beitrag in dieser Zeit geleistet, indem es half, Familien zusammenzuführen, die in den Wirren des Krieges auseinandergerissen worden waren. Ich habe noch in Erinnerung, wie wir, als ich ein Junge war, an den Radiogeräten saßen und ganze Namenslisten verlesen wurden. Der Suchdienst hat hier unglaublich dabei geholfen, Menschen zusammenzuführen, die durch Krieg und Kriegsfolgen auseinandergerissen waren. Aus dieser Zeit erinnere ich mich auch an die humanitären Aktionen, die Deutschland geholfen haben nach dem Krieg, etwa an die Schwedenspeisung im Hungerwinter 1946/47. Mit Lebensmittelpaketen, Kleidung und Schuhen halfen Schweden, Dänen, Schweizer, Briten und viele andere über die Rotkreuzorganisationen den Deutschen in ganz existenzieller Not. Ich möchte nicht, dass Deutschland vergisst, wie ihm einst geholfen wurde. Das war schließlich über die Hilfe für das schiere Überleben hinaus eine große Geste der Humanität, in der sich wieder Henry Dunants kraftvoller Gedanke zeigte: tutti fratelli e sorrelle - wir sind Schwestern und Brüder. An diese Erfahrung der Deutschen möchte ich heute dankbar erinnern. // Humanitäre Hilfe bedeutet, auf der Grundlage von Werten und Überzeugungen zu handeln. In diesem Grundsatz, den man auf Vieles übertragen kann, sehe ich eine Zukunftsaufgabe für uns in Europa. Wir als Europäer müssen unsere eigenen Werte ernst nehmen und ihnen auch in unserem praktischen Handeln folgen. Wir dürfen nicht die Augen verschließen vor den vielen Versuchen überall in der Welt, den Geltungsbereich der Menschenrechte etwa einzuschränken. Das geschieht beispielsweise unter Verweis auf distinkte "kulturelle Konventionen" oder "traditionelle Werte", die angeblich nicht mit den Menschenrechten übereinstimmen würden. Aber das ist immer unrichtig. Das ist immer taktisches Kalkül von Menschen, die sich davor fürchten, allen Menschen Menschenrechte und Bürgerrechte zuzuerkennen. Es gibt nicht zwei Arten von Menschenrechten. Die Vereinten Nationen haben sich auf eine Liste, auf einen Katalog geeinigt. Deshalb sind Menschenrechte nicht verhandelbar. Sie sind universell. Sie gelten überall und für jede Frau, für jedes Kind, für jeden Mann. // Bei der Durchsetzung der Menschenrechte sind wir ein großes Stück vorangekommen. Doch auch diese Geschichte, die Geschichte dieser Rechte, ist noch nicht zu Ende. Sie ist es schon deshalb nicht, weil Menschenrechte offensichtlich immer wieder aufs Neue erstritten werden müssen. // Und da sind wir alle gefordert: Wir erleben gerade zutiefst schockierende Tragödien an den Außengrenzen der Europäischen Union. Dazu können wir doch nicht schweigen, wenn wir unsere eigenen Werte ernst nehmen. Wir müssen uns fragen: Wie begegnen wir jenen, unseren Schwestern und Brüdern menschlicher, die sich aus Leid und Verzweiflung auf den Weg nach Europa gemacht haben und vor unseren Grenzen in akute Not geraten sind? Wie gehen wir mit denen um, die bei uns Schutz suchen? Wie gestalten wir die notwendigen Verfahren schnell und fair? Und ich möchte die Frage hinzufügen: Wie gestalten wir auch die oft notwendige Ablehnung von Asyl menschlicher? Welche Perspektiven bieten wir Menschen, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind? Gewiss, wir wissen es doch alle, wir werden nicht alle Menschen aufnehmen können, die auf der Welt in Not sind. Aber wir können mehr tun, und wir können es menschlicher tun. // An einer gesamteuropäischen Verantwortung für die Sicherheit in den Gewässern des Mittelmeers darf kein Zweifel bestehen. Der Schutz jedes einzelnen Menschenlebens geht allem voran. // Wir sollten uns von dem Idealismus, mit dem die Mitarbeiter des Roten Kreuzes ihre Aufgaben angehen, inspirieren lassen. Wir müssen zugleich abwägen, was realistischer Weise möglich ist - auch das gehört zu verantwortungsvollem Handeln. Doch mit Toleranz, ehrlichem Mitgefühl und einem offenen Auge für die Nöte anderer Menschen, ob nah oder fern, wird es uns gelingen, noch weiter auf diesem Weg zu einer friedlicheren und gerechten Welt voranzukommen. // Sie, meine Damen und Herren, bitte ich: Führen Sie Ihre Arbeit zum Wohl der Menschen, die Hilfe benötigen, auch weiterhin mit Energie, mit Hingabe und mit Weitsicht fort. Ich danke allen Haupt- und Ehrenamtlichen für ihren großen Einsatz. // Aber einen Satz muss ich noch hinzufügen: Heute, da dürfen Sie auch einmal stolz sein, in dieser großartigen Institution mitzuarbeiten. Ich danke Ihnen.
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